Leben nach der Flutkatastrophe

Landrätin Cornelia Weigand erinnert sich an das Ahr-Hochwasser 2021

Stand

Claudia Weigand war im Juli 2021, als das Ahr-Hochwasser kam, Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr und ist heute als Landrätin des Kreises Bad Neuenahr-Ahrweiler für den Wiederaufbau verantwortlich. Am 14. Juli 2023 jährt sich die Hochwassernacht zum zweiten Mal. Im Gespräch mit Holger Wienpahl erinnert sich die Politikerin daran, berichtet von persönlichen Verlusten und sagt, was sie sich für die Zukunft des Ahrtals wünscht.

Video herunterladen (374,9 MB | MP4)

"Nicht so ganz einfach, aber es gehört dazu. Das ist ein Teil unserer Geschichte", antwortet Landrätin Cornelia Weigand auf die Frage, ob sie noch hinschauen kann, wenn Bilder aus der Flutnacht gezeigt werden. Und dennoch: "Diese Erfahrungen sind bis zu einem gewissen Maße, wie es erträglich ist, wachzuhalten, um auch zukünftig die Aufmerksamkeit nicht zu verlieren und keine Demenz eintreten zu lassen, was Hochwasser angeht."

SWR Landesschau Rheinland-Pfalz, Holger Wienpahl: Wie wichtig ist das für die Menschen im Ahrtal, dass sie das Gefühl haben, sie sind nicht vergessen und wir sind immer noch bei ihnen?

Cornelia Weigand: Ich glaube, das ist sehr wichtig für uns im Tal. Der Aufbau, den wir vor uns haben, ist eine große Mammutaufgabe. Die braucht sehr, sehr lang und es ist natürlich auch seit der Katastrophe, die uns ereilt hat, sehr viel passiert. Aber damit ist unser Problem, unsere Katastrophe, unser Aufbau noch lange nicht zu Ende und es tut einfach gut zu sehen: Wir sind nicht vergessen, sondern wir sind noch mit im Fokus und wir haben auch immer noch die Chance, diese Lösungen zu entwickeln und dabei die Unterstützung zu bekommen, die wir für diese Lösungen brauchen, die nicht nur uns gut tun, sondern vielleicht auch ein Modell noch für andere werden können.

SWR Landesschau Rheinland-Pfalz: Als Vorbild? Für andere, denen ähnliches passieren kann.

Cornelia Weigand: Soweit es möglich ist. An manchen Stellen. Die Idee, wirklich im großen Maßstab als Masterplan aufzubauen, dafür hätte es nochmal ganz andere Hebel gebraucht. Das können wir nicht stemmen. Wir müssen schlicht und ergreifend unser Zuhause, unsere Betriebe, unsere Schulen, unsere Straßen wieder aufbauen. Aber ich glaube wir entwickeln für verschiedene Fragestellungen, die für uns wichtig sind, Lösungen, die auch als Vorbild taugen können.

SWR Landesschau Rheinland-Pfalz: Wie ist das denn jetzt zwei Jahre danach? Haben Sie das Gefühl, es wird noch genug hingeschaut?

Cornelia Weigand: Es gibt Phasen, da ist es relativ ruhig. Und dann gibt es wieder Phasen, natürlich jetzt zum Jahrestag, da wird sehr sehr viel hingeschaut. Und, je nachdem, mit wem man spricht, manchmal ist gut, dass auch ein bisschen Ruhe einkehrt. Aber wir sind eigentlich immer wieder auch froh, zu sehen, wir sind noch präsent, wir bekommen noch die Hilfe. Wir bekommen auch wieder die Menschen, die uns einfach besuchen. Wir sind auch eine Tourismusregion. Wir leben davon und wir leben dafür. Das ist nicht nur unsere Lebensqualität, sondern auch das Einkommen von vielen. Die haben jetzt schon viel investiert, die letzten zwei Jahre. Es ist schön, kommen Sie und schauen Sie!

SWR Landesschau Rheinland-Pfalz: Können Sie ruhig für werben, denn es ist eine märchenhaft schöne Landschaft. Und es kommt auch wieder ein bisschen Alltag in die Orte und Gemeinden. Die Touristen sind eingeladen, wie Sie sagen, wieder zu kommen. Das ist für Sie auch ein ganz wichtiges Ziel?

Cornelia Weigand: Das ist für uns ein wichtiges Ziel und es ist für uns auch wichtig. Bis "alles" wieder so weit ist, wird's noch lange dauern. Aber vieles ist eben schon wieder da, vieles ist wieder so weit. Es gibt viel zu entdecken, es lohnt sich. Und es zeigt all denen, die so sehr darum kämpfen, dass wieder vieles da ist, dass sich das eben auch lohnt und dass auf einmal nachher nicht alles leer bleiben würde.

SWR Landesschau Rheinland-Pfalz: Wie sind Sie ganz persönlich? Jemand, der zurückschaut, auf das, was war? Oder sind Sie wirklich im Hier und Jetzt? Jemand, der nur noch nach vorne schaut und sagt: Ich habe dieses Ziel, diesen Plan, das wollen wir alles in den nächsten Jahren erreichen.

Cornelia Weigand: Der Fokus ist ganz klar Zukunft, aber wie es sich im Leben gehört: Man braucht eine gute Basis, gute Wurzeln, um den Stürmen, die auf dem Weg in die Zukunft kommen, auch Stand halten zu können. Und in sofern ist auch klar, damit wir fokussieren, die richtigen Entscheidungen treffen, müssen wir auch wissen, was wir bedenken müssen. Dafür braucht es auch ein Zurückschauen, aber hoffentlich ein Zurückschauen, das weniger nur schmerzhaft, sondern auch analytisch ist.

SWR Landesschau Rheinland-Pfalz: Das mit dem Fokus ist gar nicht so einfach, auch in Ihrer privaten Situation. Sie haben damals auch viel verloren. Was alles?

Cornelia Weigand: Wir sind in guter schlechter Gesellschaft von vielen tausend Anderen. Auch wir sind betroffen und haben wie etliche Andere immer noch nicht wieder ein Zuhause und einen Rückzugsort. Andersrum bin ich gesegnet und habe das Glück, eine wunderbare Partnerschaft zu haben und das trägt durch viele schwere Situationen. Das ist auch das, was wir, glaube ich, an vielen Stellen suchen. Die Gemeinschaft aus unseren Dörfern. Wir kennen uns oft, wir sind Freunde, Verwandte, Bekannte, die in den Dörfern wohnen. Und je mehr Leute wieder in die Orte zurückkommen, desto mehr entsteht auch wieder diese Gemeinschaft und das Miteinander, was eben nochmal trägt und gut tut.

SWR Landesschau Rheinland-Pfalz: Um es konkret zu machen: Das Wasser stand bei Ihnen sechs Meter hoch und das Haus ist nicht mehr bewohnbar bis jetzt.

Cornelia Weigand: Bis jetzt nicht.

SWR Landesschau Rheinland-Pfalz: Ohne Ihren Partner, wie Sie sagen, wären Sie obdachlos.

Cornelia Weigand: Der kümmert sich um alles drumherum. Ich arbeite und er managt unser Leben. Und in sofern bin ich da ich sehr, sehr dankbar.

SWR Landesschau Rheinland-Pfalz: Was machen Sie persönlich am 14. Juli? Wir hören, es gibt kein zentrales Fest, so wie im vergangenen Jahr?

Cornelia Weigand: Die betroffenen Kommunen werden unterschiedlich die Trauer begehen. Die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler macht eine große zentrale Feier. In verschiedenen anderen Orten werden Gottesdienste sein. Ich werde, so ist es im Moment geplant, einmal in Richtung der Verbandsgemeinde Adenau gehen und dort Orte besuchen und am nächsten Tag einmal in Richtung Sinzig gehen. Ich werde auch, wahrscheinlich, bei uns selber in Altenahr, wo wir herkommen, gedenken mit unseren Nachbarn und unseren eigenen Freunden.

SWR Landesschau Rheinland-Pfalz: Einerseits sind Sie Amtsträgerin, die da auch was zu erledigen hat und was machen muss, und sind der Privatmensch, der dann, wenn ich es richtig verstehe, auch einen Moment hat zu Hause inne zu halten.

Cornelia Weigand: Wobei das, glaube ich, an solchen Tagen ineinander übergeht, ob ich dann bei uns am Ort oder woanders im Kreis bin, bin ich natürlich in meiner Funktion da, aber bin ich auch als Mensch da. Es geht ganz viel um Empathie und um Dasein als Mensch mit allen Sinnen und miteinander zu trauern.

SWR Landesschau Rheinland-Pfalz: Warum sind Sie sehr bewusst Landrätin geworden?

Cornelia Weigand: Ich wollte damals einfach Bürgermeisterin sein in meiner Verbandsgemeinde und es war wichtig für mich weiter für den Aufbau, für die Menschen zu kämpfen. Wir haben viel Leid erfahren und ich glaube, die Region, wir haben verdient, dass wir eine Chance haben, dass wir wieder gut aufbauen können und ich hatte für mich den Wunsch und den Eindruck, das geht in dieser Position als Landrätin nochmal deutlich besser als als Bürgermeisterin. Und deshalb habe ich damals den Weg beschritten.

SWR Landesschau Rheinland-Pfalz: Sie hatten den Eindruck. Haben Sie den Eindruck immer noch?

Cornelia Weigand: Es ist weiter die richtige Entscheidung gewesen. Ich kann nicht beides zeitgleich vergleichen. Es sind viele Aufgaben, die im Kreis nochmal zusammenlaufen, die dann eben auch die Chance einer gewissen Steuerung ermöglichen oder mit einem größeren Nachdruck zu hebeln, mit einem längeren Arm an der Stelle.

Cornelia Weigand schaut auf Ahr-Hochwasser (Foto: SWR)
Cornelia Weigand, damals noch Bürgermeisterin, schaut auf überspülte Straßen beim Ahr-Hochwasser 2021.

SWR Landesschau Rheinland-Pfalz: Sie machen das ja nicht nur in der Funktion und im Amt, sondern als persönlich Betroffene. Erzählen Sie nochmal, wie die Nacht für Sie gewesen ist, der Abend. Sie kamen aus dem Rathaus, waren in einer Besprechung. Was ist dann alles an diesem Abend hereingebrochen über Sie?

Cornelia Weigand: Der ganze Tag war eigentlich so, dass wir ja schon wussten, es kann was kommen, und uns auch mit unserer Feuerwehr auf Hochwasser vorbereitet haben. Wir haben dann auch immer wieder Besprechungen gehabt. Ich bin um kurz vor halb vier bei uns in der Einsatzzentrale der Feuerwehr gewesen und dann kam diese erste Meldung von fünf Meter Wasser und ab dann habe ich nur noch versucht, klar zu machen, da kommt was Größeres, Hilfe zu holen. Und dadurch, dass das Rathaus in der Ortsmitte ist, war das auch eine gute Basis. Im Normalfall wäre das auch der Ort gewesen, wo die Feuerwehr ihre Zentrale hat. Wenn das eigene Feuerwehrhaus nicht mehr nutzbar ist, was ab einer gewissen Ahrhöhe immer so war. Nur da ist dann alles irgendwann abgesoffen, weil die Ahr viel höher kam als gedacht. Also die Stromeinspeisung von außen war nicht mehr möglich, weil da stand einfach alles unter Wasser.

SWR Landesschau Rheinland-Pfalz: Was geht einem da als Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde dann durch den Kopf? Funktioniert man? Und Sie wissen in dem Moment: Ich bin in der Funktion.

Cornelia Weigand: Wie bei allen anderen auch. Es geht ein bisschen darum zu versuchen zu funktionieren, mit all dem, was man vielleicht weiß. Mit all dem, was man gelernt hat und selber an Erfahrung mitbringt, das möglichst beste in der Situation zu machen. Das muss nicht immer das objektiv Beste sein. Aber ich glaube, handeln und möglichst strukturiert handeln ist das beste, was man in der Situation wenigstens dann machen kann. Je besser die Vorbereitung, je besser die Rahmenbedingung, desto effektiver.

SWR Landesschau Rheinland-Pfalz: Wie schwer war es für Sie persönlich, das Eigene sozusagen zu verdrängen? Auch dieses Wissen, mein Haus ist genauso gerade. Es ist nicht mehr bewohnbar bis heute.

Cornelia Weigand: Um das Haus habe ich mir überhaupt keine Gedanken gemacht. Ich war froh, zwischendurch mit zu bekommen, wie geht es meinem Mann. Andersrum habe ich parallel auch mitbekommen, dass wir auch in der direkten Nachbarschaft Todesfälle hatten. Das war sehr dramatisch. Alle Menschen an der Ahr, sei es die einzelnen Feuerwehrleute, Analogfunk, Digitalfunk, wir sind alle bekannt, das heißt, unserer Telefonnummern sind bekannt. Wir haben alle Anrufe bekommen. In den Einsatzleitzentralen, auch das haben wir mitbekommen, sind die Anrufe reingekommen, dass viele viele tausende Menschen auf Dächern sitzen, in Bäumen sitzen und um ihr Leben bangen, in Lebensgefahr sind. Und wir haben nur die Botschaft bekommen: Es fliegen keine Hubschrauber, es gibt keine Hilfe. Und das hat sehr betroffen gemacht, weil irgendwann sind Sie mit allen Möglichkeiten, die Sie im Normalfall haben, Hilfe zu leisten, am Ende.

SWR Landesschau Rheinland-Pfalz: Jetzt ist vor allen Dingen immer noch Geduld gefragt, was schwer ist. Weil am Anfang ist natürlich dieses "Wir wollen's schaffen, wir packen das auch". Aber Sie haben eigentlich Großes vor. Sie wollen auch einen Beweis antreten im Ahrtal.

Cornelia Weigand: Wir wollen zielgerichtet, nachhaltig und fit für die Zukunft wieder aufbauen. Der Wiederaufbau-Fonds, der ein großes Geschenk ist, weil er uns überhaupt den Aufbau ermöglicht, wird aber sehr strikt ausgelegt für einen 1 zu 1 Wiederaufbau. Und das ein oder andere an Herausforderungen, sei es die Schulen zeitgemäß aufzubauen oder die Klimawende mitzudenken oder auch deutlich resilienter aufzubauen, als das vorher war. Das ist eben nicht mit abgedeckt. Wir ringen bei jedem dieser Projekte um die Finanzierung, aber wir wollen nicht den Stand von 2021 im Jahr 2030 haben, sondern wir wollen 2030 fit für 2040 sein.

SWR Landesschau Rheinland-Pfalz: Um es als Laie zu verstehen. Das heißt, Sie müssen Häuser, Schulen, alles was untergegangen ist – und dafür sind die Gelder da – wieder genauso aufbauen, wie es war? Es hat einmal schon nicht so wirklich funktioniert, dass es hält, und das treibt Sie gerade um.

Cornelia Weigand: Das treibt uns um. Das wäre die schnelle Variante. Wir wollen es natürlich nicht in jedem Fall, auch wenn das die Vorschrift ist. Also suchen wir Finanzmittel, andere Förderprogramme, um diese Lücken zu stopfen. Und das ist natürlich nicht in jedem Fall schnell und an vielen Punkten wäre ein resilienter, auch ein generationengerechter, nachhaltiger Aufbau mit Sicherheit auch nicht teurer als der 1:1-Wiederaufbau, aber vielleicht sinnvoller. Wir kämpfen darum.

SWR Landesschau Rheinland-Pfalz: Ich wünsche Ihnen ganz viel Kraft bei Ihrem Kampf und danke sehr, dass Sie bei uns zu Besuch waren. Danke

Cornelia Weigand: Vielen Dank.

Aktuelle Berichte, Videos und Reportagen Dossier: Leben nach der Flutkatastrophe

Die Flutkatastrophe an der Ahr und in der Region Trier liegt fast drei Jahre zurück. Manches ist repariert oder wiederaufgebaut, doch vieles noch lange nicht geheilt. Das ist der aktuelle Stand.

Stand
AUTOR/IN
SWR Fernsehen