Sodastraße in Ludwigshafen

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Ein Film von Fatma Aykut

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Ludwigshafen - Stadtansicht (Foto: SWR, SWR -)
Ludwigshafen - Stadtansicht

Wenn die BASF Schnupfen hat, heißt es in Ludwigshafen, dann hat das ganze Land die Grippe. Hier am Rhein ist das größte Chemieareal der Welt zu finden: Mehr als zehn Quadratkilometer, durchzogen von silbrigen Rohrleitungen und 115 Kilometer Straßen mit Namen wie Methanolstraße, Chlorstraße, Harnstoffstraße. Wen wundert's? Eine Stadt in der Stadt, die so viel Strom verbraucht wie das Großherzogtum Luxemburg. Die BASF ist der bei weitem bedeutendste Arbeitgeber der Region: fast 33.000 Mitarbeiter schaffen in über 2000 Gebäuden. Superlativen also für eine Stadt, die in der allgemeinen Wahrnehmung sonst nicht gut wegkommt.

Doch auch außerhalb der Mauern der BASF ist der Stolz, der prächtige Wohlstand und das Solidaritätsprinzip der einstigen Arbeiterstadt zu spüren - ganz deutlich in der Hemshof-Kolonie gleich hinter den Werkstoren der BASF. Zugegeben: auch die wurde gegründet von der BASF. Doch beides voneinander zu trennen, die Geschichte der Stadt und ihrer Menschen auf der einen Seite und des weltgrößten Chemiekonzerns auf der anderen Seite, das seit 1890 das Stadtbild prägt, das geht schief. Und so sehen sich auch die Bewohner der Hemshof-Kolonie in unzertrennlicher Symbiose mit der BASF.

Als die Kolonie ab 1872 als Siedlung für Werksangehörige der BASF gebaut wurde, bejubelte die örtliche Zeitung "jene großartigen Wohltätigkeitsveranstaltungen zu Gunsten ihrer Beamten und Arbeiter". Sie gäben ein "lautes Zeugnis von dem humanen Geist, der die Direktion beseelt". Tatsächlich lag die Qualität der Wohnungen in der Kolonie weit über allem, was in Ludwigshafen, insbesondere im Hemshof sonst für Arbeiter zu finden war.

Das Wohnrecht in der BASF-Kolonie war jedoch an absolutes Wohlverhalten und Betriebstreue gebunden. Nicht umsonst waren die Aufseherhäuser an den Rändern der Siedlung platziert. Es gab weitere einschneidende Vertragsbedingungen, wie z.B. "Eltern, deren Söhne 14 Jahre alt sind, aber nicht auf der Fabrik beschäftigt sind, dürfen dieselben in der Wohnung nicht dulden". Diese kritisierte August Brey, der Vorsitzende des Fabrikarbeiterverbandes, 1901: "Hinter den Wohltaten verbirgt sich nur mühsam versteckt die Förderung des Eigennutzens."

Ludwigshafen - Sodastrasse von oben (Foto: SWR, SWR -)
Ludwigshafen - Sodastrasse von oben

Auch war die Größe und Ausstattung der Häuser immer der Bedeutung der BASF-Arbeiter angepasst. In der Sodastraße waren ausschließlich die "Meister" untergebracht. Wolfgang Grieser wohnt in einem "Meisterhaus" in der Sodastraße. Auch er hat 45 Jahre bei der BASF geschafft, vier Schichten. Meister war er nie gewesen, Facharbeiter, und doch hat er das rote Backstein-Häuschen bekommen. Die Häuser sind nach wie vor begehrt. Früher mussten sich die Arbeiter und Angestellten durch eine bedingungslose Firmenloyalität erst einmal auf eine Warteliste für die begehrten Wohnungen setzen lassen. Dies sollte die Kritik an den damals harten und gefährlichen Arbeitsbedingungen im Chemiewerk befrieden. Wolfgang Grieser zog vor über 30 Jahren in die Sodastraße ein. Mit seiner Ehefrau genießt er lebenslanges Wohnrecht in dem 120 Quadratmeter großen Häuschen mit einem kleinen Vorgarten. Seine Frau, eine gebürtige Ludwigshafenerin, sagt, sie habe schon als Kind immer davon geträumt, in dieser Kolonie zu wohnen, weil sie das alles an ein Puppenhaus erinnere. "Die Kolonie" habe immer einen guten Ruf in der Stadt genossen. Gegenüber ist eine junge Familie eingezogen, sie sind keine Aniliner, auch der Türke nebenan nicht. Sein Vater habe zwar bei der BASF noch geschafft, aber ihn ziehe der blaue Dunst nicht an.

Ludwigshafen - Rosen (Foto: SWR, SWR -)
Ludwigshafen - Rosen

Das Straßenbild der Soda-Straße hat sich nicht verändert: Streng in Reihen angeordnet, gleichförmig, auffallend niedrig, mit grünen Klappfensterläden direkt zu Füßen des BASF-Hochhauses. Und jedes Haus ist doch anders: umzäunte Gärten, Blumenschmuck, Grills, Fahnen, Mülleimer und Gartenzwerge. Es ist wie ein kleines Paradies vor den Toren eines Weltkonzerns, so urig, bodenständig, geerdet. Und deswegen zieht es auch Nicht-Aniliner hierher. Die Unternehmenspolitik lässt das seit einigen Jahren zu. Ein Teil der Kolonie wurde privatisiert, Aniliner konnten als erste die Häuser erwerben, danach auch andere. Im Moment wird das Straßenbild geliftet, Bagger und Kräne stören die Idylle, aber es ist nur vorübergehend. Und als Kolonie-Bewohner und Aniliner sind die meisten Bewohner eh hart im Nehmen, erdulden den Krach und Staub mit stoischer Gelassenheit.

Ludwigshafen - Sodastrasse (Foto: SWR, SWR -)
Ludwigshafen - Sodastrasse

Am anderen Ende der Straße lebt Agustino Amato, ein Aniliner durch und durch. 42 Jahre hat er bei der BASF Schicht gearbeitet, durch Leistung sich hochgearbeitet zum Schichtführer- für einen einfachen Jungen aus Kalabrien, der als Gastarbeiter nach Ludwigshafen kam, eine beachtliche Karriere. Seit Anfang der 90er Jahre wohnt Amato mit seiner Familie hier. Zwei Kinder sind in der Sodastraße groß geworden, sein Sohn hat schließlich das Haus gekauft, als sich die Möglichkeit bot. Die Eltern dürfen drinnen wohnen bleiben, nach alter südländischer Tradition. Amato sagt, er sei immer gerne zur Arbeit gegangen, seine Tochter pflichtet bei: Sie könne an einer Hand abzählen, wie oft ihr Vater in den 45 Jahren krankgeschrieben war. Noch immer hängt ein Schichtplan in der kleinen Küche: ein aktueller, ein Kollege hält ihn damit auf dem Laufenden. Ob er die BASF ohne größere Schäden ertragen hat, will man von ihm wissen: nein, sagt er, gar keine Schäden, er habe seinen Job geliebt. Doch irgendwann, im Laufe eines sehr langen und unterhaltsamen Gesprächs kommt's dann doch raus: Amato kann die Farbe blau nicht mehr sehen! Seitdem er verrentet sei, ziehe er auch keine blaue Jeans mehr an. Das sei sein Schaden.

Jeder führt auf seine Weise ein ruhiges und erfülltes Leben in der Sodastraße. Doch die ist in die Jahre gekommen. Deswegen wird sie im Moment einer Schönheitskur unterzogen. Aber wenn die vorbei ist, wird sie noch prächtiger strahlen als zuvor.

Ludwigshafen - Karte (Foto: SWR, SWR -)
Ludwigshafen - Karte
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SWR Fernsehen