2021 sind so viele Mitglieder aus den beiden großen christlichen Kirchen ausgetreten wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik sind damit Kirchenmitglieder in Deutschland nur noch eine Minderheit.
Die neuesten Zahlen sind alarmierend. Sowohl für die katholische als auch für die evangelische Kirche. 280.000 Menschen haben im Jahr 2021 der evangelischen Kirche und 360.000 der katholischen Kirche den Rücken zugekehrt.
Eine Datensammlung des SWR an den Standesämtern ergab, dass mehr als 90 Prozent der gerade Ausgetretenen die Kirche nicht mehr finanziell unterstützen oder sogar bestrafen wollen, indem sie der Kirche die Steuern vorenthalten.
Die allermeisten von ihnen (80,5 Prozent) betonen dabei, selbst in keiner finanziellen Notlage zu sein. Mehr als 90 Prozent der Befragten treten außerdem wegen der Missbrauchsfälle und dem Umgang der katholischen Kirche mit den Missbrauchsfällen aus der Kirche aus. Und immerhin knapp 60 Prozent der Befragten gaben an, auch ohne Kirchenmitgliedschaft religiös sein zu können.
Untersuchungen und Prognosen geben den Kirchen in Zukunft kaum Hoffnung. Bis 2060 könnte demnach sogar nur noch ein Drittel der Bundesbürger Mitglied in einer der beiden großen christlichen Kirchen sein.
Staat muss Aufgaben der Kirchen übernehmen
Weniger Kirchenmitglieder bedeuten für die Kirchen aber auch weniger Steuereinahmen und damit weniger Geld, um viele ihrer Aufgaben noch im gleichen Umfang erfüllen zu können. Denn in Werkstätten, Heimen von Caritas und Diakonie, in Kitas, Schulen oder Beratungsstellen nehmen die Kirchen dem Staat viele Bildungsaufgaben ab. Schon jetzt müssen viele Bistümer und Pfarreien den Rotstift ansetzen und sparen. Dem Staat drohen erhebliche Mehrausgaben, wenn er für die Kirchen einspringen muss.
In den Kirchen kennt man die Dynamik bei den Austrittszahlen und verspricht, eine Aufklärung der Missbrauchsfälle sowie sich der Frage nach der Gleichstellung der Geschlechter zu stellen. Ziel ist es, wieder mehr Vertrauen zu gewinnen. Verändert sich die Kirche nicht, droht ihr aber tatsächlich früher oder später die Bedeutungslosigkeit. Schon jetzt ist absehbar, dass die Folgen des Mitgliederschwunds die Gesellschaft an vielen Stellen verändern wird.
Kirchenaustritte nehmen zu - was bewegt Menschen zu diesem Schritt?
Immer mehr Menschen verlassen die katholische Kirche, die meisten wegen der Missbrauchsfälle und dem Umgang der Kirche damit. Das hat eine aktuelle datenjournalistische Umfrage des SWR ergeben. Aber auch die evangelische Kirche leidet unter Kirchenaustritten. "Zur Sache"-Reporter Leo Colic hat Menschen getroffen, die der Institution Kirche bewusst den Rücken kehren, aber weiter gläubig sind - und er geht der Frage nach, was die Kirchen selbst tun müssen, um den Exodus zu stoppen.
Kämpfen oder austreten? Das Dilemma der katholischen Gläubigen
Kann katholische Kirche auch anders gehen? Viele Gläubige, die sich aktiv in ihre Gemeinde einbringen, stellen sich seit Jahren diese Frage. Denn noch immer verweigert sich die katholische Amtskirche dem Frauenpriestertum, geht die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt nur schleppend voran. Angesichts großer Austrittswellen und der schwindenden Bedeutung von Kirche ringen überzeugte Christinnen und Christen um ihre Position. Die einen wollen die Kirche von innen verändern, andere haben sie nach langem, schmerzhaftem Ringen bereits verlassen. Welchen neuen Ort finden sie für ihren Glauben?
Paukenschlag im Bistum Speyer Speyerer Ex-Generalvikar Sturm: Rücktritt war "Befreiungsschlag"
Der Rücktritt des Speyerer Generalvikars Andreas Sturm hat für Aufsehen gesorgt. Im SWR-Interview spricht der 47-Jährige über die Gründe, darüber, was die katholische Kirche braucht und warum er sich auf eine Beziehung freut.