Millionen Webseitenbetreiber haben eine Abmahnung erhalten, angeblich wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte durch Missachtung der DSGVO. Muss man zahlen? (Foto: Colourbox, Motortion)

Google Fonts

Abzocke mit Abmahnungen: Vorsicht, wenn Sie eine Homepage betreiben

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Annika Erbach
Jörg Hommer
Heidi Keller

Millionen Webseitenbetreiber haben eine Abmahnung erhalten, angeblich wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte durch Missachtung der DSGVO. Muss man zahlen?

Mindestens 170 Euro Schmerzensgeld werden in den Abmahnungen verlangt, weil die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nicht erfüllt sei. Was ist dran an der Welle? Der Verdacht der Staatsanwaltschaft: Betrug und Erpressung.

Der Partyservice aus dem Odenwald in unserem Fallbeispiel ist mit seiner Internetseite genauso betroffen wie etwa Vereine oder Familien mit einer privaten Homepage im Internet: In seinem Abmahnungsbrief fordert der Berliner Rechtsanwalt Kilian Lenard im Namen seines Mandanten Martin Ismail 170 Euro Schadensersatz, weil die Homepage seine Persönlichkeitsrechte verletze. Die Inhaber trifft es völlig unerwartet, sie sind sich keiner Schuld bewusst.

Google Fonts als Schriftart auf Webseiten

Im Internet finden sich zahlreiche Beschwerden von weiteren Betroffenen, die zahlen sollen, weil sie Google Fonts verwendet haben. Google Fonts sind Schriftarten, die bei der Erstellung von Webseiten kostenlos verwendet werden können. Werden diese Schriftarten nicht downgeloaded und lokal verwendet, sondern immer wieder von Google neu in die Webseite eingebunden, werden beim Besuch der Webseite einige Daten der Nutzer an Google in die USA verschickt - etwa die IP-Adresse.

Im Abmahnungsschreiben wird beklagt, dass die Ersteller der Webseiten die Schriften nicht downgeloaded und deshalb gegen die Persönlichkeitsrechte von Martin Ismail verstoßen hätten - wie tausende andere Webseitenbetreiber auch.

Strafanzeige gegen die Anwaltskanzlei

Auch beim Schutzverband gegen Wirtschaftskriminalität haben sich zahlreiche Betroffene beschwert. Syndikus-Rechtsanwalt Peter Solf hat deswegen vor einigen Monaten Strafanzeige gegen die Anwaltskanzlei und Martin Ismail gestellt. Er geht von Forderungen an private und gewerbliche Betreiber von Webseiten in Millionenhöhe aus. Mehrere Tausend Abgemahnte dürften auch gezahlt haben. Solf schätzt, es sind mehrere Hundertausend Euro zusammengekommen.

Abmahnung für Webseite ohne Traffic

Auch ein Buchautor aus Weil im Schönbuch hat im Oktober eine Abmahnung erhalten. Dabei habe „überhaupt kein Traffic stattgefunden“ auf der angemahnten Begleit-Webseite zu einem seiner Bücher. Das Buch sei bisher nur zehn Mal verkauft worden. Deshalb beschließt er, nicht zu bezahlen und abzuwarten.

Wer steckt hinter den Abmahnungen?

Wer ist Martin Ismail? Wir stellen fest: Bei seiner Adresse in Hannover gibt es Namen von mehreren Firmen, die alle Martin Ismail gehören. Auf unsere Anfrage hat er nicht reagiert. Ihn selbst treffen wir nicht an. Die Hausbewohner erklären, der Gesuchte sei ihr Vermieter, der nur zum Briefkasten-Leeren vorbeikomme. Wir seien nicht die ersten, die sich nach ihm erkundigten.

Generalstaatsanwaltschaft ordnet Razzia an: gewerbsmäßiger Betrug

Auch die Generalstaatsanwaltschaft in Berlin ermittelt gegen Anwalt Kilian Lenard und seinen Mandanten Martin Ismail - rund 420 Anzeigen von Betroffenen sind hier bereits eingegangen. Ende 2022 lässt die Staatsanwaltschaft eine Razzia durchführen.

„Der Vorwurf ist der gewerbsmäßige Betrug in dem Wissen, dass kein Anspruch auf irgendwelche Schmerzensgeldzahlungen wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte besteht.“

Dass trotzdem diese Abmahnwelle losgetreten worden sei und gleichzeitig angeboten wurde, „wenn ihr das Zivilverfahren vermeiden wollt, könnt ihr uns im Vergleichsweg 170 Euro zahlen“, erfülle den Tatbestand des versuchten Betruges und möglicherweise auch der versuchten Erpressung.

Außerdem sollen die abgemahnten Webseiten mit Hilfe einer Software gezielt gesucht worden sein. Für den Oberstaatsanwalt ist klar,...

„...dass es nur dann eine Persönlichkeitsrechtsverletzung sein kann, wenn auch tatsächlich eine natürliche Person diesen Webseitenaufruf macht.“

Wenn die Webseiten, wie es in diesen Fällen der Anfangsverdacht ist, automatisiert aufgerufen worden sind, gibt es letztendlich keine Grundlage dafür, eine Persönlichkeitsrechtsverletzung geltend zu machen, weil es sich nur um eine Software handelt.

Rechtsanwalt Lenard hat möglicherweise rechtmissbräuchlich gehandelt

Bei einer Verurteilung durch ein Gericht stünde für Rechtsanwalt Kilian Lenard seine Zulassung als Anwalt auf dem Spiel. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Abmahnungen rechtsmissbräuchlich erfolgt sind. Doch auch an seiner Adresse treffen wir niemanden an. Seit November 2022 ebbt die Abmahnwelle von Ismail und Lenard zwar ab, doch vorbei sind die Google Fonts-Abmahnungen nicht.

Peter Solf vom Schutzverband gegen Wirtschaftskriminalität berichtet von zwei weiteren unbekannten Absendern - eine Firma und eine Privatperson - die ebenfalls abmahnen, sogar eine Unterlassungserklärung fordern.

Wie können sich Webseitenbesitzer vor diesen Abmahnungen schützen?

Peter Solf rät: „Zunächst mal klären, ist die eigene Webseite konform, entspricht die den Datenschutzvorgaben, den wettbewerbsrechtlichen Vorgaben, falls man selber gewerblich tätig ist.“ Das Geld für eine Beratung sei gut angelegt. Damit sei man gewappnet auch für zukünftige Fälle und Aufforderungen. „Das sollte man auch immer wieder aktualisieren.“

Wer bereits gezahlt hat, darf hoffen, denn die Behörden haben bei ihrer Razzia 346.000 Euro sichergestellt. Die Chancen stehen gut, dass die Geschädigten einen Teil des Geldes zurückbekommen.

Abmahnung per Brief vom Rechtsanwalt wegen Google Fonts? Der Verdacht der Staatsanwaltschaft: Betrug und Erpressung (Foto: Colourbox, Phovoir)
Abmahnung vom Rechtsanwalt wegen Google Fonts? Der Verdacht der Staatsanwaltschaft: Betrug und Erpressung.

Andere Gründe für Abmahnungen: Urheberrecht oder falsche Tatsachen

Schon eine einfache Bewertung im Internet kann eine Abmahnung nach sich ziehen, verbunden mit hohen Anwaltskosten. Auch bei Onlinevideos und Auktionen lauern Abmahnfallen.

Abmahnung wegen negativer Bewertung im Internet

Wer online Bewertungen schreibt, beispielsweise für gekaufte Waren, kann mit der Schilderung seiner Erfahrungen anderen helfen. Man sollte sich jedoch nicht zu falschen Tatsachenbehauptungen hinreißen lassen. Diese können Abmahnungen des Betroffenen - verbunden mit hohen Anwaltskosten und meistens einer Unterlassungserklärung - nach sich ziehen.

Worauf muss man beim Schreiben von Bewertungen achten?

Tatsachenbehauptungen müssen richtig und nachprüfbar - also beweisbar - sein. Wer in einer Bewertung etwa schreibt, ein Produkt sei "nicht zu öffnen", begibt sich auf dünnes Eis. Er muss beweisen können, dass der Artikel grundsätzlich nicht zu öffnen ist. Besser ist daher die Formulierung "Ich konnte den Artikel nicht öffnen". Meinungsäußerungen sind, im Gegensatz zu Tatsachenbehauptungen, nicht so leicht anfechtbar.

Vorsicht bei der Bewertung von Ärzten im Netz

Dasselbe gilt auch für Bewertungen auf Arztportalen: Tatsachenbehauptungen muss, wer sie äußert, beweisen können. Besser als "Ich wurde schlecht behandelt" ist also "Ich habe mich schlecht behandelt gefühlt".

Waren im Internet anbieten: Privater Verkäufer oder Händler?

Abmahnungen kann sich auch einhandeln, wer im Internet Waren verkauft und als Händler eingestuft wird. Das kann schneller passieren, als man denkt. So wurde beispielsweise ein Mann, der seine Plattensammlung auflösen wollte und sie im Internet anbot, als gewerblicher Händler eingestuft (OLG Hamm, Urteil vom 15.03.2011, Az. I-4 U 204/10). Er hatte über einen Zeitraum von sechs Wochen 500 Auktionsangebote ins Netz gestellt. Der Umsatz, den der Mann damit erzielte, war bei dieser Entscheidung zweitrangig.

Wer als Händler auftritt, hat mehr Pflichten als eine Privatperson: So braucht man beispielsweise ein Impressum, muss eine Widerrufsbelehrung erteilen, eine Gewährleistung für ein halbes Jahr einräumen und ab einem Umsatz von 22.000 Euro auch Umsatzsteuer zahlen.

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Wann gilt man bei Verkäufen im Internet als Händler?

Man muss weder Neuware, noch gleichartige Waren verkaufen, um als Händler eingestuft zu werden, noch muss man viel Geld daran verdienen. Die Gerichtsurteile zu derartigen Fällen sind sehr unterschiedlich, jeder Einzelfall wird anders eingeordnet.

Mögliche Kriterien sind jedoch:

• eine professionell gestaltete Webseite mit vielen Fotos
• viele Bewertungen (etwa 40 im Monat)
• der Verkauf von zugekaufter Ware neben eigenen, gebrauchten Artikeln
• der Verkauf von Neuware, auch neben gebrauchter Ware
• der Verkauf über Monate oder Jahre hinweg, nicht nur einmalig
• der Verkauf von mehr als 26 Artikeln pro Jahr

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von Oktober 2018 stellt jedoch strengere Anforderungen für die Einordnung als Händler (EuGH mit Urteil vom 4. Oktober 2018 Az. C-105/17).

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Was kann ich tun, wenn ich abgemahnt wurde?

• Zunächst einmal gilt: Ruhe bewahren und keine voreiligen Schritte unternehmen.
• Trotzdem keinesfalls Schreiben einfach ignorieren und gesetzte Fristen überschreiten, sonst droht ein Gerichtsverfahren.
• Holen Sie sich rechtlichen Beistand von einem Rechtsexperten der Verbraucherzentrale oder von einem Rechtsanwalt. Vorher sollten Sie keine Unterlassungserklärung unterschreiben. Manchmal gelingt es mit Hilfe des Rechtsexperten auch, Schadensersatzforderungen zu senken.
• Der Abgemahnte muss normalerweise nur Anwaltskosten aus einem Streitwert von bis zu 1.000 Euro zahlen - sofern es noch kein Gerichtsverfahren gibt.

Mehr Infos bezüglich Abmahnungen hat die Verbraucherzentrale zusammengestellt.

Fotos, Videos, Musik: Abmahnung bei Urheberrechtsverletzung

Auch wenn man Bilder oder Videos mit Musik im Internet veröffentlicht, ist Vorsicht geboten: Unter bestimmten Umständen drohen Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzung. Zum Beispiel ein Party-Video ins Netz zu stellen, bei dem meine Gäste zu aktueller Musik tanzen - das kann teuer werden.

Urheberrechtlich geschützte Werke - wie Texte, Fotos, Musik oder Filme - dürfen grundsätzlich nicht einfach kopiert werden, ohne dass der Urheber sein Einverständnis gegeben hat. Ausnahmen bilden nur einzelne Kopien für den privaten Gebrauch - zum Beispiel, wenn man ein Musikstück einmal kopiert, um es auf einem anderen Gerät hören zu können. Das Musikstück an Freunde weiterzugeben, ist dagegen nicht erlaubt.

Musik im Hintergrund meines Videos

Wer Musik - auch als Hintergrund in Videos - ins Internet stellt, ohne über die nötigen Rechte zu verfügen, begeht eine Urheberrechtsverletzung. Das gilt auch, wenn beispielsweise im Hintergrund meines Katzenvideos in meiner Wohnung Musik zu hören ist - egal, wie kurz die Sequenz ist.

Fotos von Sehenswürdigkeiten

In Deutschland gilt die Panoramafreiheit: Macht man Fotos von Sehenswürdigkeiten, sind diese in der Regel frei verwendbar, sofern man sich auf öffentlichem Grund befindet. Vorsicht: Bei Schlössern in einem Park kann das unter Umständen nicht mehr der Fall sein, wenn man sich beim Knipsen im Park auf einem Privatgrundstück und eben nicht auf öffentlichem Grund befindet.

In anderen Ländern können andere Regelungen gelten. Kurios: Der Eiffelturm als Motiv ist rechtefrei, da der Architekt schon länger als 70 Jahre tot ist. Bei Nacht, wenn der Eiffelturm beleuchtet ist, gilt er jedoch als geschütztes Kunstwerk.

Produkt-Fotos von einer Herstellerseite

Vorsicht ist auch geboten, wenn man privat im Internet etwas verkaufen möchte und dafür ein Bild des Produkts von der Seite des Herstellers kopiert. Auch das kann als Urheberrechtsverletzung teuer werden - also im Zweifelsfall lieber selbst ein Bild vom Artikel machen.

Wann erlischt das Urheberrecht?

Nur alte Werke sind unter Umständen "gemeinfrei". Das Urheberrecht erlischt in der Regel 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers.

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