Hochsensibilität

Warum manche Menschen sensibler sind als andere

Stand

"Sei doch nicht so empfindlich!" — Diesen Vorwurf müssen sich Hochsensible oft anhören. Diese Menschen reagieren häufig empfindsamer gegenüber Geräuschen, Licht oder auch sozialen Reizen. Manche Schätzungen gehen davon aus, dass in einer Bevölkerung 15 bis 20 Prozent hochsensibel sein könnten.

Video herunterladen (118,4 MB | MP4)

Hochsensibilität bzw. das Phänomen der "highly sensitive person" (HSP) wurde 1997 erstmals von den beiden US-Psychologen Elaine Aron und Arthur Aron beschrieben. Sie begründeten damit das Konzept der Hochsensibilität.

Seitdem wird das Phänomen wissenschaftlich erforscht. Es wird vermutet, dass das Nervensystem von hochsensiblen Menschen intensiver auf Reize von innen und außen reagiert: Dabei geht es um Informationen, die über die Augen, die Ohren, den Geschmack, die Haut und die Nase im Körper aufgenommen und verarbeitet werden. Häufig ist, so wird vermutet, nur eines der fünf Sinnesorgane hochsensibel, in manchen Fällen sind es auch mehrere.

Kein Filter für äußere Reize

Forschende gehen davon aus, dass hochsensible Menschen auf "dauerhaftem Empfang" stehen – ohne Filter. Das heißt, kleinste Veränderungen oder Unterschiede in der Umwelt werden direkt wahrgenommen. Hochsensible Menschen sollen, so die These, emotional stärker involviert sein, denken länger als andere über Dinge nach. Eine Charaktereigenschaft, die gerade für Kinder und Jugendliche sehr belastend sein und zu Überforderung führen kann.

Daniela Schmitten, Psychologin und Hochsensibilitäts-Coach in LissendorfEifel (Foto: SWR)
Daniela Schmitten, Psychologin und Hochsensibilitäts-Coach in Lissendorf/Eifel

Daniela Schmitten ist Psychologin und berät Menschen, die von starker Reizverarbeitung betroffen sind. Sie stellt in ihrer täglichen Praxisarbeit fest, dass immer mehr ihrer Klienten unter ihrer Hochsensibilität leiden.

"Weil die Gesellschaft so schnelllebig wird, weil wir immer häufiger erreichbar sind, weil wir viel, viel mehr mit Informationen konfrontiert werden. Und weil einfach die Ansprüche ganz andere sind als noch vor 100 Jahren."

Als Thema zahlreicher psychologischer Studien wird Hochsensibilität noch erforscht. Die Wissenschaft vermutet, dass in einer Bevölkerung 10 bis 20 Prozent der Menschen hochsensibel sein könnten, mit breit gefächertem Ausprägungsspektrum. Grundsätzlich gilt: Hochsensibilität ist keine Krankheit oder Persönlichkeitsstörung, sondern eine Charaktereigenschaft, die im Alltag Vor- und Nachteile mit sich bringen kann.

Wie lässt sich Hochsensibilität erkennen?

Bei Kindern gibt es gewisse Anzeichen wie eine sehr intensive Beobachtungsgabe oder bereits in jungem Alter das Nachdenken über tiefgreifende Lebensfragen. Häufig sind hochsensible Kinder empfindlich gegenüber Lautstärke, Gerüchen und Geschmäckern. Das Kratzen von rauen Stoffen oder Nähten kann als besonders unangenehm wahrgenommen werden.

"Die Kinder kommen manchmal so ein bisschen rüber wie eine Prinzessin auf der Erbse. Das sind ganz viele Kleinigkeiten, die zu einem großen Leidensdruck führen können."

Bei Erwachsenen sind es Stichworte und Sätze wie "Ich mag keinen Smalltalk", "Suche immer irgendwo den Sinn", "Will das große Ganze sehen", die die Psychologin genauer hinschauen lassen. Im Erscheinungsbild in einigen Punkten ähnlich zum Autismus oder ADHS, unterscheidet sich das Konzept der Hochsensibilität jedoch in einigen Punkten.

Um festzustellen, ob auf ihre Klienten das Konzept der Hochsensibilität zutrifft, bedient sich Daniela Schmitten unter anderem eines Fragebogens. Die amerikanische Forscherin Elaine Aron hat den ersten Test dieser Art entwickelt, der zur Feststellung einer möglichen Hochsensibilität herangeführt werden kann.

Mit dieser Arbeit legte die US-Amerikanerin in den 1990er-Jahren den Grundstein zur Erforschung von Hochsensibilität. MRT-basierte Studien haben inzwischen bewiesen, dass die zuständigen Stellen im Gehirn zur Reizverarbeitung und Empathieempfindung bei hochsensiblen Menschen stärker beansprucht werden als bei Vergleichspersonen, die als "nicht hochsensibel" galten.

Was hochsensiblen Menschen im Alltag helfen kann

Grundsätzlich raten Experten wie Daniela Schmitten: Wissen hilft. Sich selbst besser zu verstehen, zu wissen, welche Situationen und Einflüsse besonders belastend sein können, kann einem reizüberlasteten Menschen im Alltag helfen. Eine Strategie kann sein, diese belastenden Reize gezielt zu minimieren bzw. zu vermeiden. Ist das nicht möglich, sind Aus- und Ruhezeiten hilfreich. Vielen hilft dabei ein Aufenthalt in der Natur.

Eltern von Kindern, bei denen eine Hochsensibilität vermutet wird, rät die Psychologin, das Kind zu unterstützen, indem sich Eltern auf die persönlichen Stärken des Kindes konzentrieren, besondere Eigenschaften im Gespräch als "Gabe" herausarbeiten:

"Bei Kindern nenne ich das immer ganz gerne den Superhelden-Modus aktivieren. Ja also, dass die Kinder wirklich merken: Was kann ich denn Tolles?"

Obwohl Hochsensibilität als Konzept in der Psychologie ein noch junges Forschungsfeld ist, kann es als Orientierungshilfe reizüberlasteten Menschen helfen, sich selbst besser zu verstehen und ihre Stärken wertzuschätzen. Denn mit der intensiven Reizverarbeitung, die dem Konzept zugrunde liegt, gehen auch viele positive Eigenschaften einher. Viele hochsensible Personen sollen, so wird vermutet, einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn haben und sehr emphatisch gegenüber Mitmenschen sein. Oft zeige sich dies auch in kreativen und musikalischen Talenten, der Liebe zur Natur und einem großen Harmoniebedürfnis.

Corina Greven | Professorin für Hochsensibilität Hochsensibel: Krankheit oder Charakter?

Corina Greven widmet sich der "Hochsensibilität". Warum erfährt es gerade jetzt so viel Aufmerksamkeit? Werden Gesellschaften sensibler und wie können Betroffene damit umgehen lernen?

Stand
AUTOR/IN
SWR Fernsehen