Rüstungsindustriefirma Diehl Defence: Das Luftabwehrsystem Iris-T SLM von Diehl Defence in Überlingen rettet im Ukraine-Krieg Leben, sagen die Hersteller. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Michael Kappeler)

Ein Jahr Krieg in der Ukraine

Deutsche Rüstungsindustrie: Warten auf die Zeitenwende

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SWR-Wirtschaftsredakteurin Petra Thiele (Foto: Dirk Bannert)
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Bei den Rüstungsfirmen am Bodensee ist man froh, dass sich ihr Image durch den Ukraine-Krieg verbessert hat. In konkreten Aufträgen hat sich das noch nicht überall niedergeschlagen.

Ein Jahr tobt der Krieg in der Ukraine bereits. Der Konflikt hat vieles verändert, auch an der Haltung Deutschlands. Zuerst wollte man der Ukraine nur Helme liefern - und wurde dafür von den internationalen Partnern scharf kritisiert. Dann gab es defensive Waffensysteme, etwa Artillerie oder Luftverteidigungssysteme. Jetzt gehen sogar Kampfpanzer an die ukrainischen Streitkräfte.

Antriebe und Motoren für zivile und militärische Zwecke

Das bringt der Rüstungsbranche, die am Bodensee stark verankert ist, Aufschwung. Zum Beispiel bei Rolls-Royce Power Systems (RRPS) mit der Marke MTU. Der Rüstungskonzern betreibt mehrere große Werke mitten in Friedrichshafen. Wer ins Werk hinein möchte, muss einen Termin haben und seine Personalien hinterlegen.

Das Gebäude von Rolls Royce (Foto: SWR)
Rolls-Royce Power Systems in Friedrichshafen liefert Antriebe und Motoren.

Sicherheit wird groß geschrieben. Denn die Motoren, die hier gebaut werden, kommen zwar größtenteils in zivilen Schiffen, Lastwagen und Spezialfahrzeugen zum Einsatz - aber eben auch in Leopard 2- und Puma-Panzern. Seit dem Ukraine-Krieg hat sich für die Mitarbeiter vor allem das Image geändert, sagt Knut Müller, bei Rolls-Royce Power Systems zuständig für das Behördengeschäft, also alles, was mit der Bundeswehr zu tun hat.

"Wir merken natürlich, dass die Wehrtechnik jetzt einen höheren Stellenwert bekommen hat. Und unsere Mitarbeiter sind auch sehr froh darüber."

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RRPS: Keine Neuaufträge beim Hersteller von Panzermotoren

Als der Krieg begann, fing man auch bei Rolls-Royce Power Systems an, sich auf verstärkte Anfragen vorzubereiten. Denn wenn im Krieg gekämpft wird, werden auch viele Panzer zerstört und müssen nachgeordert werden. Da sei man in Vorleistung gegangen, um bereit zu sein, so Knut Müller. Immerhin hatte Bundeskanzler Scholz bereits am 27. Februar 2022 für die deutschen Streitkräfte die Zeitenwende ausgerufen. 100 Milliarden Sondervermögen sollten für die Aufrüstung der Truppe bereitstehen.

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Dadurch rechnete man auch bei Rolls-Royce Power Systems damit, schnell Aufträge zu bekommen - erst recht, seit klar wurde, dass auch Kampfpanzer geliefert werden. Allein, bislang sind noch keine Bestellungen eingegangen. Seit Monaten sei man in Gesprächen. Doch wirklich in den Auftragsbüchern verbuchen kann man in Friedrichshafen noch nichts.

Zeitenwende des Bundeskanzlers ins Stottern geraten

Eine Tatsache, die für Klaus-Heiner Röhl, Rüstungsexperte beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, nicht überraschend kommt. Die Zeitenwende sei bisher nur verzögert in Gang gekommen:

"Im vergangenen Jahr ist von den 100 Milliarden an Sondervermögen gar nichts ausgegeben worden."

Diehl Defence und Airbus: Artillerie für die Ukraine

Anders sieht die Lage rund 30 Kilometer entfernt in Überlingen aus. Dort ist mit Diehl Defence der größte Hersteller für Raketen in Deutschland zu Hause. Diehl hat den ukrainischen Streitkräften das Luftabwehrsystem Iris-T SLM geliefert. Es gilt als eines der modernsten Flugabwehrsysteme der Welt. Drei weitere sollen die Überlinger noch liefern.

Diehl selbst gibt keine Interviews. Auf SWR-Anfrage reagiert Diehl nur schriftlich. 120 neue Stellen seien in Überlingen derzeit ausgeschrieben, so ein Sprecher. Der Ukraine-Krieg bedeute eine Zäsur für die Branche. Man wolle weiterhin die Bedarfe der deutschen Streitkräfte bedienen. 

Für das Flugabwehrsystem Iris-T SLM arbeitet Diehl Defence eng mit Airbus Defence and Space in Immenstaad am Bodensee zusammen. CEO Michael Schöllhorn war sich bereits bei der ersten Lieferung sicher, dass die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine durch dieses System erheblich gestärkt werde. Es biete "effektiven Schutz gegen Bedrohung durch Raketen- und Drohnenangriffe".

Minenräumung in der Ukraine mit Geräten aus Stockach

Doch auch kleinere Unternehmen der Branche produzieren in der Bodenseeregion. In Stockach im Kreis Konstanz produziert die Schweizer Firma Global Clearance Solutions große Minenräumgeräte. Die pflügen die Erde um und bringen Minen so zur Detonation. Die gepanzerten Fahrzeuge sind ferngesteuert.

Der erste Minenräumer ist laut Unternehmensangaben bereits im Einsatz, 25 weitere seien bestellt. Das Geschäft ist zukunftsträchtig. Schätzungen von Experten zufolge, sind rund ein Drittel der Ukraine durch Minen und andere Kampfstoffe verseucht - es soll Jahrzehnte dauern, bis die Kriegsfolgen beseitigt sind.

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Deutsche Rüstungsbranche: vielfältige Struktur - starker Mittelstand

An vielen Orten in Deutschland ist die Branche noch von solchen Mittelständlern geprägt. Konzentrationsprozesse in der Industrie hat es hierzulande weniger stark gegeben als in anderen Ländern, erklärt Rüstungsexperte Klaus-Heiner Röhl vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

"Wenn für solch einen Mittelständler ein Exportauftrag plötzlich wegbricht, kann ihn das schnell in eine schwierige Lage bringen. Große Verteidigungskonzerne wie in Frankreich, Großbritannien und Italien können das vielleicht leichter wegstecken."

Lange Lieferzeiten für Leopard 2: Die Industrie ist bereit, die Politik nicht

Neue Aufträge, über die man sich bei Rolls-Royce Power Systems bestimmt freuen würde. 18 Monate könnten zwischen Bestellung und Lieferung von Motoren vergehen, merkt Knut Müller an, verantwortlich für das Behördengeschäft bei den Friedrichshafenern. Das bedeutet, wenn die Bundeswehr die für die Ukraine bestimmten Leopard 2-Panzer zeitnah ersetzen will, braucht es jetzt schnelle Beschlüsse.

Dabei sei man sogar bereit, zusätzliche Stellen zu schaffen und eine neue Produktionslinie zu errichten - wenn die Aufträge endlich kämen. Doch Knut Müller bleibt diplomatisch: "Wir rechnen natürlich damit, dass diese Fähigkeiten bei den Streitkräften wieder ersetzt werden. Über welchen Zeitraum das geschehen wird, das müssen wir abwarten. Es gibt aktuell keine konkreten Planungen, wie das umgesetzt werden soll."

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Einen anderen Konflikt hat der Ukraine-Krieg - vorerst - beendet: den Streit um das Luftverteidigungssystem FCAS, die Abkürzung steht für Future Combat Air System. Mit dem deutsch-französisch-spanischen Prestige-Projekt will man in Europa der amerikanischen Konkurrenz entgegentreten. Interne Machtkämpfe unter den Industriepartnern Airbus und Dassault bremsten FCAS zuletzt aus.

Durch politischen Druck von Bundeskanzler Olaf Scholz und dem französischen Staatspräsident Emmanuelle Macron soll es wieder vorangehen: Politisches Ziel ist ein einheitliches europäisches Kampfjet-System im übernächsten Jahrzehnt. Für Deutschland soll FCAS Nachfolger des Eurofighter werden. Daneben hat Großbritannien das Projekt FCAS verlassen und entwickelt jetzt mit Italien und Schweden zusammen am Kampfflugzeug Tempest.

Kampfjets gelenkt durch Piloten oder Computer, begleitet von unbemannten Drohnen und satelliten-gesteuert über intelligente Software - erst 2040 soll das hochkomplexe FCAS einsatzbereit sein, die Kosten werden mit 100 Milliarden Euro veranschlagt.

Experten rechnen für das langlaufende Hochtechnologie-Projekt, das über die Rüstung hinaus zukunftsweisend sein soll, bereits heute mit Kosten von 300 Milliarden Euro. Ob FCAS erfolgreich wird und sich durchsetzt, steht trotzdem noch in den Sternen - auch in der Vergangenheit wurden milliardenschwere Rüstungsprojekte am Ende dennoch eingestampft.

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