Millionen Frauen betroffen

Lipödem: Schwere, dicke, schmerzende Beine

Stand
AUTOR/IN
Juana Guschl
ONLINEFASSUNG
Sola Hülsewig

Wenn Diäten und Sport nichts bringen: Frauen mit Lipödem nehmen an den Beinen stark zu. Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

Lange Zeit dachte Chrissy Dillich selbst, sie sei einfach nur dick. Als Jugendliche fing es plötzlich an, dass ihre Beine schmerzten: bei Berührung, beim Stehen oder beim Treppensteigen. Erst vor einigen Jahren hat sie durch ihre neue Hausärztin endlich die Ursache erfahren: Ein Lipödem. Wie Chrissy Dillich geht es vielen Frauen, die oft einen langen Leidensweg voller Fehldiagnosen hinter sich haben, bis sie endlich die richtige Diagnose bekommen.

Kompressions-Strumpfhose lindert Schmerzen

Jeden Morgen muss Chrissy Dillich Zentimeter für Zentimeter ihre Kompressions-Strumpfhose über Füße, Unter- und Oberschenkel ziehen. Nur so werden ihre dauernden Schmerzen ein Stück erträglich. Das Einengen der Beine gibt ihr ein Stück Freiheit zurück und erleichtert ihr, sich zu bewegen.

"Das ist so eine Mischung aus Muskelkater, aus Brennen, aus Druckschmerz. Das Gefühl, als ob eine Millionen Ameisen über's Bein laufen“, beschreibt Chrissy Dillich ihre Symptome. „Ich steh morgens auf und habe so ein Spannungsgefühl - dann ziehe ich meine Kompression an. Und dann ist dieses Gefühl mehr so in Richtung Brennen und Kribbeln."

Jede zehnte Frau leidet an einem Lipödem

Unter der chronischen Erkrankung versteht man eine krankhafte Fettverteilungsstörung. Die Erkrankung betrifft ausschließlich Frauen - jede Zehnte leidet unter einem Lipödem. Über die Ursachen der Erkrankung ist bislang wenig bekannt.

Lipödem: Fettzellen vermehren sich unkontrolliert

Im Unterhautfettgewebe vermehren sich unkontrolliert Fettzellen. Die wachsen nicht nur an, sondern verändern auch ihre Struktur.

Kleine Knötchen unter der Haut sehen oberflächlich aus wie harmlose Cellulite, verursachen aber im Gewebe dauerhaft schmerzhafte Entzündungen. Lymphflüssigkeit kann nicht mehr richtig abfließen, Betroffene leiden unter Druckschmerz und neigen zu blauen Flecken.

Die Erkrankung betrifft in der Regel die Beine; bei jeder dritten Frau auch die Arme.

Hormonelle Veränderungen als Ursache von Lipödemen

„Man weiß heute, dass hauptsächlich die Östrogene eine Rolle spielen - und deswegen sind natürlich auch immer Zeitpunkte wichtig, wo es Hormonumstellungen gibt – zum Beispiel die Pubertät, da erkranken 65 Prozent der Patientinnen“, erklärt Dr. Marc Bensch, Phlebologe aus Mainz. Die zweithäufigste Altersklasse, in der Lipödeme auftreten, sei zwischen 20 und 40 Jahren. In diesen Lebensabschnitt fallen bei vielen Frauen hormonelle Veränderungen, wie sie die Einnahme der Antibaby-Pille verursachen kann sowie Schwangerschaften.

Bei den meisten Frauen mit Lipödem liegt eine genetische Veranlagung für die Erkrankung vor.

Die Krankheit wird in drei Stadien unterteilt:

  • Im Stadium eins ist die Hautoberfläche glatt und die Fettstruktur feinknotig.
  • Die meisten Patientinnen sind im Stadium zwei - hier ist die Hautoberfläche überwiegend wellig und die Knötchen der Fettstruktur gröber.
  • Im Stadium drei leiden Betroffene bereits an überhängenden Gewebeteilen. Der Umfang der Beine ist sehr stark vergrößert.

Über die Stärke der Schmerzen sagt die Einteilung in Stadien nichts aus – auch Patientinnen in Stadium eins können starke Schmerzen verspüren.

Lipödem mit Liposuktion (Fettabsaugung) behandeln?

Die krankhaft veränderten Fettzellen lassen sich über eine operative Fettabsaugung, eine so genannte Liposuktion, entfernen – manchmal sogar dauerhaft. Die Krankenkassen übernehmen diese OP aber nur für Patientinnen in Stadium drei, die einen Body Mass Index (BMI) von unter 35 haben. „Wobei man sagen muss, dass es eigentlich kaum Patientinnen im Stadium drei gibt, die auch nur annährend an einen Body Mass Index von 35 rankommen“, kritisiert Phlebologe Dr. Bensch diese Praxis. Wucherndes Fettgewebe ist Teil der Erkrankung. Das überschüssige Gewebe hat sein Gewicht und lasse sich weder durch Diäten noch durch Sport verringern, sagt Dr. Bensch. „Dadurch ist der BMI natürlich verfälscht“.

Auch Chrissy Dillichs BMI ist „zu hoch“, so dass die OP nicht von der Krankenkasse übernommen wird. Circa sechs bis sieben Eingriffe wären notwendig, um das kranke Fettgewebe abzusaugen. Die Kosten dafür beliefen sich auf rund 30.000 Euro.

"Ich war in drei verschiedenen Kliniken und bin jedes Mal heulend rausgelaufen“, erzählt Chrissy Dillich. Anstatt sich zu verschulden, nimmt sie die Krankheit an und versucht, ihre Schmerzen durch eine konservative Therapie des Lipödems in den Griff zu bekommen.

Lipödem: Konservative Therapie mit Lymphdrainage und Kompressionsstrümpfen

Konservative Therapiemöglichkeiten kommen ohne operative Eingriffe aus. Beim Lipödem basieren sie auf fünf Säulen:

  • regelmäßige Lymphdrainage,
  • dauerhafte Kompression,
  • intensive Hautpflege,
  • die richtige Ernährung
  • und möglichst viel Bewegung.

Krankenkasse zahlt vier Kompressions-Strumpfhosen im Jahr

Zwei Paar neue Strumpfhosen bekommen Lipödem-Betroffene pro Jahr von der Krankenkasse erstattet, die sie permanent tragen müssen. Sie werden individuell für jede Betroffene angepasst.

Chrissy Dillich teilt ihre Erfahrungen mit der konservativen Therapie in den Sozialen Medien. Auf Instagram klärt sie auf, wie wichtig neben der Kompression beispielsweise auch die richtige Ernährung ist. Damit hat sie es geschafft, 50 Kilogramm abzunehmen.

Die richtige Ernährung bei Lipödem

"Wir wollen mit der Ernährung natürlich versuchen, dass wir nicht noch mehr Übergewicht bekommen“, erklärt sie. „Ich habe auf Zucker und auf Weizenmehl verzichtet. Dadurch haben sich tatsächlich meine Schmerzen reduziert.“

Chrissy Dillich fällt es jetzt deutlich leichter, sich zu bewegen und sogar Sport zu treiben. Regelmäßig geht sie schwimmen und aufs Trampolin. Das regt den Lymphfluss an und schafft Erleichterung in ihren Beinen. Zweimal die Woche erhält sie außerdem manuelle Lymphdrainage beim Physiotherapeuten.

„Ich kann ja trotzdem am Leben teilnehmen. Und ich kann trotzdem noch Spaß haben und ich kann mich trotzdem noch bewegen und mit Freunden rausgehen. Das gibt mir unheimlich viel.“

Lymphomat presst Flüssigkeit aus den Beinen

Den Abend beschließt sie auf der Couch in einem Lymphomaten: Einem Gerät, das mittels Luftdruck die angestaute Flüssigkeit aus ihren Beinen presst.

Ihre positive Einstellung hilft Chrissy Dillich, die Disziplin aufzubringen, es Tag für Tag mit dem Lipödem aufzunehmen.

So leiden Frauen unter einem Lipödem „Dass eine Berührung weh tut – das versteht niemand“

„Dann mach halt Sport oder iss ein bisschen weniger!“ Das hören Frauen, die unter einem sogenannten Lipödem leiden, häufig. Dabei sind die Fetteinlagerungen eine ernstzunehmende Krankheit, sie betreffen Millionen Frauen in Deutschland. Wir haben mit Johanna gesprochen, die mit der Krankheit und dem Unverständnis kämpft.

Stand
AUTOR/IN
Juana Guschl
ONLINEFASSUNG
Sola Hülsewig