Frau liegt auf dem Bauch im Bett und hält sich schmerzverzerrt das Gesicht. Chronische Schmerzen: Wie entsteht ein Schmerzgedächtnis? Welche Therapie hilft? (Foto: Adobe Stock, Adobe Stock | stokkete)

Ursachen und Therapie

Schmerzgedächtnis wegen chronischer Schmerzen: Was tun?

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AUTOR/IN
Judith Schaller
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Sola Hülsewig

Was passiert, wenn Schmerzen zum Dauerzustand werden und Nervenbahnen in Gehirn und Rückenmark ein Schmerzgedächtnis ausbilden?

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Unerklärliche Schmerzen im Gesicht

Vor 15 Jahren bekommt Jennifer Hillebrandt plötzlich enorme Schmerzen im Gesicht. Sie sind so stark, dass sie sich bis heute fest in ihr Gedächtnis eingebrannt haben.

„Es fühlt sich an, wie wenn dir jemand mit einem Backstein ins Gesicht geschlagen hat. Das ist ein brennendes, ziehendes, elektrisierendes und auch ein schneidendes Gefühl“, versucht Jennifer Hillebrandt, den Schmerz zu umschreiben. Woher er kommt, kann sie sich lange nicht erklären.

Obwohl sie die Schmerzen fast täglich quälen, arbeitet die damals 30-Jährige weiter. Die Arbeit lenkt sie zwar kurzfristig von ihrem Leiden ab – doch insbesondere dann, wenn sie wieder zur Ruhe kommt, geht die Tortur wieder los.

Woher kommen die Schmerzen? Vergebliche Arzt-Suche

„Es war ganz, ganz schlimm. Vor allen Dingen fühlt man sich hilflos, alleingelassen. Man kriegt den Schmerz ja nicht mit einer Schmerztablette weg.“ Besonders beängstigend sei gewesen, dass auch die Ärzte, mit denen sie zu tun hatte, irgendwann nicht mehr wussten, was noch zu tun sei.

Zwei Jahre lang sucht Jennifer Hillebrandt Hilfe bei verschiedenen Ärzten, schließlich landet sie bei dem Schmerztherapeuten Dr. Oliver Emrich. Der Spezialist führt zu Beginn ein ausführliches Anamnese-Gespräch mit ihr, hört sich ihre Schmerzgeschichte genau an und analysiert ihre MRT-Bilder. Diese sind unauffällig.

Gürtelrose als Auslöser der Schmerzen?

Doch bei einer weiteren Untersuchung entdeckt Dr. Emerich plötzlich eine kleine Narbe an ihrem Kinn: Eine Spur. Tatsächlich hatte Jennifer Hillebrandt im Alter von 21 Jahren genau an dieser Stelle eine Gürtelrose, die nie behandelt wurde. Liegt hier tatsächlich die Ursache ihrer Schmerzen?

Eine Gürtelrose kann sich als Folge von Windpocken entwickeln. Denn nach einer Windpockenerkrankung nisten sich Zoster-Viren unbemerkt in den Nervenwurzeln ein. Wenn das Immunsystem geschwächt ist, können die Viren wieder aktiv werden. Es kommt zu einer Entzündung des Nervengewebes, die dazu führt, dass die von ihm versorgten Hautbereiche schmerzen. Der typische Hautausschlag entsteht.

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Chronische Schmerzen nach Gürtelrose

Jennifer Hillebrandts Narbe sei ein Überbleibsel der Nervenentzündung durch die Gürtelrose, erklärt Dr. Emrich. „Geblieben ist ein chronischer Schmerz, eine Überreizbarkeit der Nerven-Austrittsstelle vom Nervus mentales hier in dem Fall.“ Normalerweise heile solch eine Nervenentzündung in dem Alter folgenlos aus – nicht so bei der Patientin, weswegen sie fortwährend therapiert werden muss.

Schmerzgedächtnis: So entsteht es

Bei Jennifer Hillebrandt hat sich ein sogenanntes Schmerzgedächtnis entwickelt. Dabei haben die Nerven so lange Impulse an das Gehirn gesendet, dass es dort zu einer Überreaktion gekommen ist. Das hat zur Folge, dass das Gehirn, anstelle von Hormonen zur Schmerzhemmung nun Botenstoffe aussendet, die die Schmerzempfindlichkeit erhöhen. Und das kann selbst dann noch geschehen, wenn die eigentliche Schmerzursache behoben oder verheilt ist.

Die Schmerzen sind in Körper und Geist fest abgespeichert und könnten jederzeit leicht abgerufen werden, erklärt Dr. Emrich. Das sei vergleichbar mit einem motorischen Ablauf, wie zum Beispiel Tennisspielen. „Das vergesse ich mein ganzes Leben nicht mehr, wie der Ablauf ist, einen Tennisball zu schlagen. Und die Schmerzerfahrung und das Schmerzgedächtnis kann man am ehesten so begreifen, dass genau dieser Reflex, durch einen äußeren Reiz wieder stärkeren Schmerz zu empfinden, sich ins Hirn quasi eingegraben, eingraviert hat.“

Das ist auch der Grund, warum die Schmerzen bis heute immer wieder kommen – und Jennifer Hillebrandt regelmäßig behandelt werden muss. Dabei fühlt der Arzt die Nervenaustrittspunkte.

Therapie bei chronischen Schmerzen

„Ich selbst fühle da gar nichts. Ich weiß nur, wo die Nervenaustrittspunkte sind, taste in dieser Region und merke an der Reaktion des Patienten, der mir das natürlich mitteilt, ob diese Nervenaustrittspunkte überempfindlich sind.“ Mittels Lokalanästhesie werden die Nerven betäubt. So können sie den Schmerz nicht weiterleiten.

Alle 10 Wochen muss Jennifer Hillebrandt die Behandlung durchführen lassen. Denn von allein werden ihre Nervenschmerzen nach heutigem Stand der Medizin nicht mehr verschwinden. Die Behandlung ist dennoch eine Erleichterung für sie, denn so kann das Schmerzgedächtnis vorrübergehend unterbrochen werden.

Für den Fall einer akuten Schmerzattacke verschreibt Dr. Emrich seiner Patientin noch spezielle Notfall-Medikamente. Doch mittlerweile muss sie auf die, dank der regelmäßigen Spritzen-Therapie, nur noch selten zurückgreifen.

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