Mitten im Berufsverkehr geht das Auto plötzlich aus. Reagiert einfach nicht mehr. Gabi Schünemann aus Wiesbaden erinnert sich, wie um sie herum gehupt und geschimpft wird – und ihr Auto? Rührt sich nicht mehr vom Fleck.
Den Jeep Avenger hat Schünemann vor rund zwei Jahren geleast. Und seitdem nur Probleme damit. Einige davon hat sie auf Fotos und Videos festgehalten. Wild blinkende Schalter, Starten nicht möglich, auf dem Display erschreckende Meldungen: Elektroantrieb-Fehler, Getriebe-Fehler, Fehler bei der Schleuderbremse ESP, Fahrzeug reparieren lassen...
Schünemann ist eine von vielen Betroffenen!
Zahlreiche Betroffene
Fehlermeldungen, Totalausfälle, überforderte Werkstätten: mit dem Problem ist Gabi Schünemann nicht allein. In sozialen Netzwerken finden wir zahlreiche Betroffene, in verschiedenen Gruppen. Sie alle berichten von ähnlichen Problemen.
Thomas Müller ist einer von ihnen, er erzählt uns, dass er während der Fahrt sein Lenkrad plötzlich nicht mehr bewegen konnte, “...und ich stand auf einer Autobahnauffahrt. Also können Sie sich vorstellen, was da los ist, also auf einer vielbefahrenen Autobahnauffahrt.“
Vertragshändler kann keine Fehler finden?
Gabi Schünemanns Auto wurde bereits drei Mal abgeschleppt, zum Vertragshändler. Doch der könne keine Fehler finden, das Auto sei ohne Mängel, heißt es immer wieder.
Schünemann holt das Auto jedes Mal mit einem schlechten Gefühl aus der Werkstatt, wie sie sagt, denn es sei “nur eine Frage der Zeit, wann man das nächste Mal wieder liegen bleibt.“
Was ist los bei Jeep?
Was ist da los bei Jeep? Das wollen wir vom Hersteller wissen. Sind die Probleme dort bekannt? Wieso werden die Mängel in den Vertragswerkstätten nicht abgestellt?
Jeep gehört zum Stellantis-Konzern, ein 2021 gegründetes Mammut-Unternehmen aus 14 Autofirmen. Der viertgrößte Autohersteller der Welt, dem auch Fiat und Opel angehören.
Der Konzern macht schon seit einigen Monaten Schlagzeilen – keine guten: 70.000 Fahrzeuge wurden zurückrufen, weil Bremsen versagen können. Rückruf, weil defekte Steuergeräte Fahrzeugbrände verursachen können. Und bei 1,5 Millionen Fahrzeugen können schwerwiegende Softwarefehler die Stabilitätskontrolle außer Kraft setzen. Ein Unfallrisiko.
Von Jeep keine Reaktion
Was sagt Jeep dazu? Wir haben den Hersteller um Stellungnahme gebeten. Doch auf unsere Fragen: keine Reaktion. Ein Rückruf des Fahrzeugmodells ist offenbar nicht vorgesehen!
Automobilexperte: “Probleme betreffen die ganze Branche”
Für Stefan Bratzel, Professor für Automobilwirtschaft, kommen die Probleme von Stellantis nicht überraschend. Sie beträfen die gesamte Branche, vermutet er: "Wir haben immer mehr Software bezogene Probleme in den Fahrzeugen. Hinzu kommt, dass die Entwicklungsgeschwindigkeit natürlich sehr hoch ist, das heißt: je mehr die Fahrzeuge schnell auf den Markt müssen, zu möglichst niedrigen Kosten, desto größer ist auch das Risiko, dass die Fahrzeuge eben noch nicht vernünftig getestet werden. Und das ist natürlich eine Gefahr, insbesondere bei den sicherheitsrelevanten Themen."
“Auto lebensgefährlich”
In der Nähe von Bad Kreuznach hat Isabel Wagner schon rechtliche Schritte eingeleitet. Ihr Jeep Avenger ist schon seit vier Wochen in der Werkstatt. Das ist ärgerlich, zumal sie jeden Monat 380 Euro Leasing für das Firmenauto bezahlt.
Den Jeep will sie nicht mehr anrühren. Das Auto sei lebensgefährlich, sagt sie. Wie kürzlich, als die Versicherungsfachfrau unterwegs zu einem Kunden war: unterwegs durch einen Ort, habe sie "hinter einem Auto angehalten, um ein anderes Auto vorbeizulassen. In dem Moment, wo ich anfahren wollte, ist der Avenger voll in die Eisen, und ich bin nach vorne geflogen, es hat eine richtige Bremsung gegeben. Es gab keinen Anlass. Die Straße war relativ leer. Ich hatte genügend Abstand zum Vordermann, ohne Ankündigung, ohne dass ich jetzt wusste, er bremst."
Von solchen Vorfällen berichten auch andere Jeep-Fahrer. Laut der Werkstatt sei der Fehler, so steht in diesem Bericht, zu "sporadisch", um nachvollziehbar zu sein. Und wo kein Fehler, da auch kein Mangel, der Jeep zur Nacherfüllung verpflichte.
Rechtsanwalt eingeschaltet
Dennoch will Isabel den Vertrag rückabwickeln, hat die Angelegenheit ihrem Rechtsanwalt übergeben. Doch so einfach sei das nicht, sagt er. Und das habe im Falle seiner Mandantin auch etwas mit den Gewährleistungsfristen zu tun: "Im ersten Jahr wird vermutet, dass dieser Mangel per Gesetz, dass er auch schon zum Zeitpunkt des Kaufs und der Übergabe vorgelegen hätte. Das Jahr ist leider auch insoweit abgelaufen, und dementsprechend tragen wir jetzt die Beweislast dafür, dass der Mangel vorhanden ist. Dafür werden wir in Kürze ein selbständiges Beweisverfahren einleiten. Und das ist relativ teuer. Da gehen schnell sechs, sieben, acht Tausend Euro Richtung Gericht. Das ist sicher eine sehr aufwändige Beweisführung. Deshalb müssen wir dann mit solchen Kosten rechnen", erklärt Rechtsanwalt Peter Runkel.
Rechtsschutzversicherung deckt Kosten ab
Isabel Wagner hat eine Rechtsschutzversicherung, die solche Kosten abdeckt. Sonst würde sie das niemals machen. Gut möglich, dass ihr ein Dokument in die Karten spielt, das Isabel von ihrem Händler erhalten hat. Es handelt sich um einen Fragebogen, Titel: "Unbeabsichtigte Aktivierung der Funktion 'Aktive Sicherheitsbremse'".
Dort soll sie zum Beispiel erklären, ob während des Manövers der Scheibenwischer in Betrieb war oder ob sie den Fuß auf dem Bremspedal hatte. Der Anwalt ist überzeugt: dem Hersteller müsse der sicherheitsrelevante Mangel sehr wohl bekannt sein.
"Das Problem scheint man europaweit auszurollen", vermutet Rechtsanwalt Runkel: "Wir haben uns gemeldet im Dezember. Ich glaube nicht, dass man erst im Dezember angefangen hat, das europaweit auszurollen. Ich vermute, dass das Problem vorher schon bekannt war und in anderen Ländern schon Recherchen und Untersuchungen laufen."
Dem Kraftfahrtbundesamt liegen Hinweise vor
Im Falle von sicherheitsrelevanten Mängeln kann auch das Kraftfahrtbundesamt einen Rückruf verpflichtend anordnen. Von der Behörde erfahren wir, dass im Fall Jeep entsprechende Hinweise vorlägen.
Zurück zu Gabi Schünemann aus Wiesbaden. Bei ihrem Avenger wurde zuletzt ein Software-Update aufgespielt. Drei Wochen lief alles glatt, dann ein erneuter Totalausfall: wieder Abschleppen, und wieder behauptet die Werkstatt: ein Fehler sei im Speicher nicht zu finden.
Schünemann fühlt sich "veräppelt und einfach nicht ernst genommen, und das ist fast noch schlimmer als die Tatsache, dass das Auto irgendwo stehen bleibt, dass man letzten Endes als Kunde nicht ernst genommen wird. Und das ist wirklich schade."
Hoffentlich bekommt Jeep die Probleme in den Griff, bevor jemand zu Schaden kommt!