Beim Vergleichsportal Verivox hatte eine Marktcheck-Zuschauerin ein verlockendes Angebot entdeckt: Der Stromanbieter Stromio liefert Strom für 22 Cent pro Kilowattstunde - im Vergleich mit anderen Anbietern sehr günstig. Stromio gibt sich zudem als ökologisch und wirbt mit einem Bonus. Doch schon nach einem Jahr erhöht Stromio den Tarif auf rund 26 Cent pro Kilowattstunde.
Ohne vorherige Kündigung: Plötzlich in der Grundversorgung
Anfang 2022 kommt dann ein unerwarteter Brief der Süwag Vertrieb AG: weil Stromio sie nicht mehr zuverlässig beliefern könne, sei sie nun in der Grundversorgung gelandet. Mit der Süwag Vertrieb AG hat die betroffene Marktcheck-Zuschauerin noch nie etwas zu tun gehabt. Außerdem sei sie von Stromio vorab gar nicht gekündigt worden.
Nun muss sie deutlich mehr für den Strom zahlen. Mehrfach versucht sie, Stromio zu erreichen. Als endlich jemand ans Telefon geht, wird die Betroffene gebeten, nicht weiter nachzufragen.
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Tausende klagen gegen Stromio
Die Verbraucherzentrale führt seit 2022 eine Sammelklage gegen Stromio. Neben der betroffenen Marktcheck-Zuschauerin haben sich mittlerweile mehr als 3.500 ehemalige Stromio-Kunden der Klage angeschlossen. Philipp Wendt vom Vorstand der Verbraucherzentrale Hessen berichtet, dass die Stromio GmbH zu Beginn der Energiepreis-Krise, Ende 2021, tausenden Kunden gekündigt habe. Diese haben erst nachträglich von ihrem Grundversorgungsunternehmen erfahren, dass sie jetzt zu höheren Preisen in der Grundversorgung seien.
„Aus unserer Sicht ist das aus zwei Gründen rechtswidrig, was Stromio gemacht hat“, sagt Philipp Wendt. Zum einen könne man Verträge nicht rückwirkend zu einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt kündigen und genau das sei hier geschehen. Zum anderen liege überhaupt kein Kündigungsgrund vor. Nur weil Stromio plötzlich höhere Einkaufspreise habe, sei der Stromanbieter nicht berechtigt, ein langfristiges Preisversprechen zu brechen.
Wenn Stromdiscounter ihre Preise nicht halten können
Stromio war damals einer von mehreren Energiediscountern, die auf Portalen Strom zu besonders günstigen Preisen angeboten haben. Daneben lockten auch Extraenergie und Immergrün mit Tiefpreisen. Als 2021 durch die Energiekrise die Börsenpreise für Strom anstiegen, konnten etliche Stromdiscounter die günstigen Preise nicht mehr halten. Manche erhöhten ihre Preise teilweise drastisch oder kündigten ihren Kunden ohne Vorankündigung.
Stromio lässt uns dazu mitteilen: "In rechtlicher Sicht kam es durch die geopolitisch bedingte drastische Erhöhung der Energiepreise zu einer Störung der Geschäftsgrundlage, die zur Kündigung der Verträge berechtigte."
Bei unseren Recherchen entdecken wir jetzt einige Stromanbieter von damals, wie Extraenergie oder Immergrün, wieder in den Portalen. Vor allem Immergrün taucht häufig ganz vorne bei den günstigsten Anbietern auf.
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Neue Billig-Anbieter mit bekannter Strategie
Energieexperte Uwe Pöhls beobachtet den Strommarkt mit seinem Team schon seit Jahrzehnten. Er warnt: Neben der Rückkehr einiger altbekannter Billig-Anbieter, würden nun auch neue Stromdiscounter auf den Markt drängen. Die Geschäftsmodelle seien ähnlich wie damals.
„Es funktioniert immer über scheinbar günstige Preise, die aber eben sozusagen künstlich generiert werden, zum Beispiel durch hohe Boni-Versprechen. Aber den tollen Treuebonus bekommt man halt nur, wenn man ins zweite Belieferungsjahr geht“, so Pöhls. Und das sei teilweise doppelt so teuer als das erste oder die Abschläge würden viel höher angesetzt. Oft würden Guthaben, die man nach Ende der Kundenbeziehung habe, verspätet oder gar nicht mehr ausgezahlt. Man habe erhebliche Probleme, die Energiediscounter überhaupt zu erreichen.
Fragwürdige Anbieter: Das Geschäft mit Strom
Uwe Pöhls hält die Geschäftspraktik mancher Anbieter für fragwürdig: „Es geht darum, mit günstigen Angeboten viele Kunden zu generieren“. Rechne sich das Modell für die Anbieter nicht mehr, komme es entweder zu einer Insolvenz, was in den vergangenen 20 Jahren bereits fünfmal in größerem Maßstab geschehen sei, oder die Belieferung werde schlicht eingestellt. Insofern sei eine Wette auf dauerhaft günstige Preise für die Kunden riskant.
Stromdiscounter: Warum für sie andere Regeln gelten
Grundversorger müssen per Gesetz die Versorgung mit Strom für alle Verbraucher auch in Zukunft garantieren. Deshalb schließen sie für ihren Strom meist langfristige Verträge am Terminmarkt ab.
Diese Versorgungsverpflichtung haben Discounter-Anbieter nicht. Hinter den Firmen stecken oft Händler, die den Strom am Echtzeitmarkt, also am Tagesmarkt kaufen. Dort ist der Strom oft günstig, weil zum Beispiel gerade ein Überangebot an Energie besteht.
Kommt es etwa zu einer Energiekrise und der Börsenpreis steigt, müssen manche Discounter-Anbieter die Preise deutlich erhöhen oder kündigen sogar die Verträge mit ihren Kunden.
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Unsere Stromversorgung gilt als kritische Infrastruktur. Kommt es hier zu Störungen, können die Auswirkungen immens sein.
Etliche Beschwerden gegen die Grünwelt Energie
Unter den aktuellen Discounter-Angeboten auf den Vergleichsportalen fällt uns auch die Grünwelt Energie auf. Sie wirbt mit hohen Bonus-Angeboten. Grünwelt Energie gehört zum Konzern Universal Utility International.
Der Geschäftsführer der Universal Utility International ist auch Geschäftsführer der Stromio GmbH.
Auf Beschwerdeportalen finden sich zahlreiche aktuelle Einträge über die Grünwelt Energie – kritisiert werden beispielsweise der schlechte Kundenservice und drastische Preiserhöhungen.
Energie-Siegel: Kann man ihnen trauen?
Auf ihrer Homepage wirbt die Grünwelt Energie mit etlichen Siegeln wie „höchste Kundenloyalität“, „Energiekönig“ oder „Unternehmen des Jahres 2025“. Branchenkenner Uwe Pöhls warnt: Einige Siegel würden nicht unabhängig vergeben.
Grünwelt lässt uns dazu mitteilen, dass (...) objektive, vom Siegelanbieter vorgegebene Kriterien erfüllt werden müssen, um ein Siegel zu erhalten.
Neues Gesetz Das ändert sich für Balkonkraftwerke
Die Zahl der Solaranlagen für den Balkon ist zuletzt noch einmal stark gestiegen. Der nächste Schub könnte folgen: Die Installation wird jetzt einfacher durch ein neues Gesetz.
Vergleichsportale: Tragen auch sie Verantwortung?
Bei der Verbraucherzentrale hat man die Sammelklage gegen Stromio nun gegen die Utility Universal und den Geschäftsführer ausgeweitet. Philipp Wendt von der Verbraucherzentrale Hessen fordert: Um Kunden künftig besser zu schützen, müsse man künftig auch die Vergleichsportale in die Pflicht nehmen.
„Ein ganz zentraler Punkt ist auch: Wie kauft eigentlich mein Energieversorger ein? Ist das Preisversprechen, das er mir gibt, überhaupt seriös?“, so Phillip Wendt. Der Gesetzgeber müsse die Energieversorger verpflichten, diese Informationen zu veröffentlichen. So würden die Vergleichsportale darauf zugreifen können.
Wie können sich Verbraucher gegen Energiediscounter wehren?
Phillip Wendt rät Verbrauchern, sich zu informieren, ob es Beschwerden über den Anbieter gebe und auf Preiserhöhungsklauseln im Kleingedruckten zu achten.
Die betroffene Marktcheck-Zuschauerin fordert mit der Sammelklage etwa 470 Euro bereits gezahlte Stromkosten zurück. Sie hofft, dass sie das Geld irgendwann zurückbekommt.