Auf Facebook war Nicole Eickhoff auf ein Gewinnspiel gestoßen, es ging um Fußball-Dauerkarten. Weil sie und ihr Mann Fans sind, machte sie mit. Knapp zwei Monate später erhielt sie eine E-Mail von einer englischen Firma - eine Auftragsbestätigung über einen DSL-Vertrag mit der 1N Telecom GmbH.
Von dem Unternehmen mit Sitz in Düsseldorf hatte sie nie gehört, sagt sie, habe 1N Telekom aber auf mehreren Wegen informiert, dass sie keinen Vertrag abgeschlossen habe. Trotzdem folgten Mahnungen. Hatte Nicole Eickhoff tatsächlich aus Versehen den Auftrag für einen neuen Internetvertrag erteilt? Wie war das möglich?
Nicole Eickhoff ist mit dieser Erfahrung nicht allein: Auf Plattformen im Internet und über die Verbraucherzentralen berichten seit einigen Monaten zahlreiche Betroffene, dass sie nach der Teilnahme an einem Gewinnspiel plötzlich Auftragsbestätigungen für neue DSL-Verträge erhalten hätten – und anschließend Mahnungen oder Schadensersatz-Forderungen von 1N Telecom.
Ungewollt einen DSL-Vertrag bei 1N Telecom abgeschlossen?
Im vergangenen Jahr hatte „Marktcheck“ bereits über 1N Telecom berichtet. Zahllose Verbraucher waren damals auf einen Werbebrief des Unternehmens hereingefallen: Sie dachten, sie würden den Tarif bei der Deutschen Telekom wechseln. Stattdessen schlossen sie einen DSL-Vertrag bei 1N Telecom ab - ungewollt.
Verbraucherzentrale klagt Telecom statt Telekom – tausende Beschwerden
Zahlreiche Deutsche-Telekom-Kunden sind aufgrund eines missverstandenen Angebots zur 1N Telecom gewechselt. So können Betroffene widerrufen oder kündigen.
Mehr als 14.000 Betroffene haben sich inzwischen bei den Verbraucherzentralen in ganz Deutschland gemeldet, weil sie sich von 1N Telecom abgezockt fühlen. Und es kämen ständig neue Betroffene dazu, sagt Oliver Buttler von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.
Inzwischen habe das Unternehmen sein Vorgehen geändert: Viele der aktuell Betroffenen hätten demnach gar keinen Kontakt mit der 1N Telecom gehabt, sondern würden unmittelbar mit Mahnungen oder Inkassoschreiben konfrontiert. „Das zeigt: Hier wird gar nicht mehr versucht, Kunden zu akquirieren, sondern es werden direkt Mahnungen beziehungsweise Inkassoschreiben verschickt, um Kasse zu machen“, so die Einschätzung des Telekommunikationsexperten Oliver Buttler.
Woher hat 1N Telecom die Daten? Anspruch auf Auskunft
Für Nicole Eickhoff ist all dies unfassbar: Wie könne es sein, dass sie in einem Vertrag gelandet sei, von dem sie nichts wisse – und den sie gar nicht bewusst abgeschlossen habe? Sie und ihr Mann haben sich inzwischen mit mehreren anderen Betroffenen zusammengeschlossen. Gemeinsam versuchen sie, mehr über 1N Telecom herauszufinden – auch darüber, woher das Unternehmen ihre Daten hat und wann sie angeblich einen Vertrag eingegangen sein sollen.
Nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) haben Betroffene einen sogenannten Auskunftsanspruch. Wird Auskunft verlangt, ist eine Firma dazu verpflichtet, den Anfragenden innerhalb von 30 Tagen mitzuteilen, welche Daten von ihnen zu welchem Zweck verarbeitet wurden.
Daten könnten durch Gewinnspiele an 1N Telecom gelangen
Nicole Eickhoff hat von diesem Anspruch Gebrauch gemacht – und bei der 1N Telecom und der englischen Firma, die ihr die Auftragsbestätigung geschickt hat, nachgefragt. Von beiden Firmen hat sie daraufhin den gleichen Datensatz erhalten.
Ihr Verdacht: Über das Gewinnspiel könnten ihre Daten zur 1N Telecom gelangt sein. Die 1N Telecom versende dann die vermeintlichen Auftragsbestätigungen. So erklärt es sich Nicole Eickhoff.
Hunderte Strafanzeigen liegen gegen 1N Telecom-Geschäftsführer vor
Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ermittelt schon seit vielen Monaten zum Geschäftsgebaren der 1N Telecom. Mehrere hundert Strafanzeigen gegen den Geschäftsführer liegen dort inzwischen vor – und es werden immer mehr. Der Verdacht: Betrug.
„Der für uns relevante Sachverhalt ist der, dass vermeintliche Schadensersatzforderungen geltend gemacht werden“, erklärt Hauke Lorenzen von der Oberstaatsanwaltschaft Düsseldorf. Auch andere Schreiben an Betroffene seien aber Gegenstand. Dabei werde jeweils sehr detailorientiert geprüft, ob ein Anfangsverdacht des Betruges gegeben sei.
„Die Anzahl der Strafanzeigen zeugt davon, dass es ein umfangreiches Verfahren ist - daher müssen wir dies auch in der notwendigen Tiefe prüfen und ermitteln.“
1N Telecom reagiert auf Vorwürfe und Anfragen nicht
Was sagt der Geschäftsführer von 1N Telecom zu den Vorwürfen? Marktcheck schickt ihm mehrere Anfragen. Doch auf unsere Fragen erhalten wir keine Antwort. Und auch ein Besuch am Firmensitz in Düsseldorf bleibt ergebnislos.
Vor einigen Monaten ist die 1N Telecom umgezogen und soll laut Handelsregister nun in einem Bürokomplex in der Nähe des Flughafens residieren, ganz oben. Im vierten Stock finden wir zum Zeitpunkt unseres Besuches allerdings nur ein leeres Großraumbüro.
Die Stadt Düsseldorf und die Gewerbebehörde schieben das Problem von sich
Wie kann es sein, dass 1N Telecom trotz der Beschwerden und Verfahren einfach weitermachen kann? Benjamin Stillner, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz, hält das für ein Unding. Der Anwalt klagt im Auftrag des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen gegen die 1N Telecom.
Er ist der Ansicht, dass am schnellsten und effektivsten die Gewerbebehörde der Stadt Düsseldorf eingreifen könnte, wenn Zweifel an der Zuverlässigkeit eines Unternehmens bestehen.
„Wenn zu vermuten ist, dass ein bestimmter Unternehmer seine fachliche Sorgfalt im Geschäftsbereich in Zukunft nicht erfüllen kann, dann kann man Maßnahmen einleiten, Vorgaben machen - bis hin zur Gewerbeuntersagung.“
Doch bei der Stadt Düsseldorf schiebt man das Problem weit von sich. Marktcheck liegen E-Mails vor, die das Büro des Oberbürgermeisters an betroffene Verbraucher geschickt hat. Darin wird behauptet, „dass die Landeshauptstadt Düsseldorf keine rechtliche Möglichkeit hat, einem Unternehmen wie der 1N Telecom das Gewerbe zu untersagen.“
Gewerbebehörde könnte und müsste handeln, sagt ein Rechtswissenschaftler
Von der Gewerbebehörde der Stadt Düsseldorf heißt es auf Nachfrage, man wolle erst dann gegen die Firma vorgehen, wenn wirklich ein „rechtskräftiges Urteil“ vorliege. Das allerdings kann dauern, bei Strafverfahren oft mehrere Jahre.
Sind der Gewerbebehörde tatsächlich die Hände gebunden? Den Verwaltungsrechtler Professor Markus Thiel verwundert die Argumentation der Stadt Düsseldorf. „Wenn die Stadt sagt, sie muss darauf warten, dass die Strafverfahren abgeschlossen sind, dann ist das schlichtweg falsch“, sagt Professor Thiel, Rechts- und Verwaltungswissenschaftler an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster-Hiltrup.
Es gebe „höchstrichterliche Rechtsprechung“ dazu, dass im Hinblick auf die Frage der Zuverlässigkeit das Verhalten des Gewerbetreibenden maßgeblich sei, nicht die staatliche Reaktion darauf. "Wenn wir ein problematisches Verhalten haben, kann und muss die Gewerbeaufsicht völlig unabhängig von den Ermittlungsbehörden tätig werden."
Rat an Betroffene: Kein Geld an 1N Telecom zahlen
Für Betroffene wie Nicole Eickhoff und ihren Mann ist es frustrierend, dass die Firma 1N Telecom ihren fragwürdigen Geschäften beinahe unbehelligt weiter nachgehen kann. Sie würden sich ein entschlosseneres Eingreifen der Aufsichtsbehörden wünschen. Mittlerweile hat Nicole Eickhoff Strafanzeige wegen Betrugs gegen den Geschäftsführer der 1N Telecom gestellt.
Allen, die unerwartet Post von der 1N Telecom erhalten, raten Nicole Eickhoff und andere Betroffene: Nicht zahlen - und sich juristisch zur Wehr setzen.