Nachtcafé als Leuchtschriftzug (Foto: SWR, SWR - Alexander Kluge)

Sendung am 17. Juni 2016

Kindheit - prägend fürs Leben? (Wh.)

Stand

Frühe seelische Verletzungen sitzen tief! Keine Frage, die Vergangenheit hinterlässt in uns ihre Spuren. Und oft bleiben Narben, die auch noch im hohen Alter schmerzen und immer wieder aufbrechen können. Doch darf die Kindheit als Sündenbock für alles herhalten, was im weiteren Leben schief läuft?

Es reist sich bekanntlich besser mit leichtem Gepäck, doch nicht jedem wurden in der Kindheit die besten Startbedingungen in den Rucksack fürs Leben gelegt: Hineingeboren in ein gewalttätiges Elternhaus, traumatisiert durch einen schweren Unfall in jungen Jahren oder Demütigungen von Schulkameraden ausgesetzt, die sich unwiderruflich in die Seele einbrennen - solch belastende Erlebnisse aus Kindertagen können auch noch Jahrzehnte später Komplexe, Partnerschaftsprobleme oder Depressionen nach sich ziehen.

Aber warum schaffen es die einen, trotz widriger Umstände in der Kindheit später ein harmonisches Leben zu führen, andere wiederum reiben sich trotz bester Kindheitsvoraussetzungen ständig am Leben? Wie schwer wiegen frühe Erfahrungen wirklich? Bestimmen nur wir selbst unseren weiteren Lebensweg oder spielen andere Faktoren eine weitaus wichtigere Rolle?

Wiederholung vom 22. Januar 2016

Ursula Buchfellner (Foto: SWR, SWR - Alexander Kluge)
Ursula Buchfellner

Ursula Buchfellner wuchs mit neun Geschwistern in einem Barackenviertel auf - Hunger, Kälte und Schläge prägten ihre Kindheit. Aus der Armuts- und Gewaltspirale ausbrechen konnte sie erst, als sie in den Siebzigerjahren als Model entdeckt wurde und als erste Deutsche aufs Cover des US-Playboy kam. Fortan machte sie ihren Weg, die Vergangenheit hing aber an ihr wie ein dunkler Schatten. Vor vier Jahren konnte sie sich mit ihren Eltern aussöhnen, Narben bleiben dennoch: „Meine Herkunft ist ein Rucksack, den ich immer mit mir herumtragen werde.“

Birte Wolinski (Foto: SWR, SWR - Alexander Kluge)
Birte Wolinski

Birte Wolinski war bereits im Kindergarten aufgrund ihrer Figur ständigen Schikanen und Beleidigungen ausgesetzt: „Meine Eltern wussten nicht, dass ich so hart und scharf gemobbt werde. Zu Hause wollte ich niemanden belasten.“ Sie zog sich zurück, hatte Suizidgedanken - in der Musik fand sie ein Ventil für ihren Kummer. Vor gut einem Jahr trat sie mit einem Song, den sie ihrem verstorbenen Vater widmete, bei einer Talentshow auf und gewann die Herzen der Zuschauer. Dies stärkte ihr Selbstbewusstsein, doch ihre Negativ-Erfahrungen begleiten die 17-Jährige nach wie vor.

Bibelstunden, Missionieren, keinen privaten Kontakt zu sogenannten „Weltmenschen“ – so sah die Kindheit von Misha Anouk aus. Hineingeboren in eine streng gläubige Zeugen-Jehova-Familie wurde er mit deren religiösen Überzeugungen groß. „Ich fühlte mich innerlich sehr zerrissen, denn die Außenwelt übte eine große Faszination auf mich aus, der ich nicht folgen durfte.“ Mit 19 wagte er den Ausstieg – mit aller Konsequenz, denn jeglicher Kontakt zu Eltern und Bruder ist seitdem so gut wie ausgeschlossen.

Silke Naun-Bates (Foto: SWR, SWR - Alexander Kluge)
Silke Naun-Bates

Im Alter von acht Jahren schlug das Schicksal bei Silke Naun-Bates zu. Als sie ihrem Hund hinterherlief, wurde sie von einem Zug überrollt und verlor beide Beine. Die Ärzte gingen von einem lebenslangen Pflegefall aus und schlossen ein eigenständig geführtes Leben aus. Doch Silke Naun-Bates trotzte den Prognosen und hat sich nie in die Schublade der Behinderten stecken lassen. Die zweifache Mutter und Persönlichkeitstrainerin strotzt heute nur so vor Lebenslust: „Ich habe einen Kämpfergeist entwickelt. Glücklich sein ist eine Wahl.“

Einen Tag nach seinem 13. Geburtstag endete schlagartig seine Kindheit. Denn da erfuhr Winfried Behlau, dass er das Kind aus einer Vergewaltigung ist, die seine Mutter durch einen russischen Soldaten erleiden musste. Und bekam damit die Erklärung, warum sich seine Mutter stets so gefühlskalt und abweisend verhielt: „Mein angeblich schlechter Charakter wurde immer auf meinen Vater zurückgeführt.“ Seine Herkunft stürzte ihn in tiefe seelische Konflikte, bis heute hat der 69-Jährige die Verarbeitung nicht abgeschlossen.

Karl-Heinz Brisch (Foto: SWR, SWR - Alexander Kluge)
Karl-Heinz Brisch

„Die Weichen für Persönlichkeitsentwicklung und Stabilität werden in den ersten Lebensjahren gestellt. Ebenso bilden sich früh die Ressourcen, um mit Schicksalsschlägen umzugehen “, so Dr. Karl-Heinz Brisch. Für den Kinder- und Jugendpsychiater erhält ein Mensch das Rüstzeug für ein glückliches Leben eindeutig in den ersten Beziehungserfahrungen. Dennoch können wir zeitlebens neue, positive Bindungserfahrungen machen, die uns trotz ungünstiger Startbedingungen weiterhelfen, so der Kindheits-Experte.

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SWR Fernsehen