Ein Schild begrenzt das Tempo auf der Autobahn A61 auf 130 kmh.  (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)

Freiheit vs Klimaschutz

Was bringt ein Tempolimit wirklich?

Stand
AUTOR/IN
Jurek Brzoska
ONLINEFASSUNG
Tamara Land
Tamara Land, SWR Wirtschaftsredaktion (Foto: SWR, SWR)

Kaum ein Thema spaltet Deutschland so sehr wie das Tempolimit: Freiheit und Fahrspaß versus Verkehrssicherheit und Umweltschutz. Doch wie sehr würde ein Tempolimit der Umwelt wirklich helfen?

Raser sind ohnehin die Ausnahme

Wie schnell sollte man fahren? Für die einen sind 130 Stundenkilometer langweilige Eintönigkeit. Für die anderen sind die Raser auf der linken Spur ein großer Stressfaktor. Fakt ist aber: Ein Großteil der Autofahrerinnen und Autofahrer würde von einem Tempolimit auf deutschen Autobahnen kaum abgebremst werden. Denn laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft fahren auf Autobahnen ohne Geschwindigkeitsbegrenzung rund 77 Prozent der Autofahrer langsamer als 130 km/h – und nur zwei Prozent fahren schneller als 160. Das spiegeln auch diverse Umfragen der letzten Jahre wider, wo sich die Mehrheit – teilweise auch nur knapp – für ein generelles Tempolimit ausspricht.   

Langsamer Fahren verbraucht weniger Sprit 

In erster Linie reduziert ein Tempolimit den Spritverbrauch. So senkt laut Umweltbundesamt eine Begrenzung von 130 km/h den Kraftstoffverbrauch um ungefähr 600 Millionen Liter pro Jahr. Bei Tempo 120 könnten demnach sogar 800 Millionen Liter im Jahr eingespart werden. Aus diesem Grund wurde während der ersten Ölkrise 1973 die Geschwindigkeit auf 100 Kilometer pro Stunde begrenzt. Auch im Zuge der weiterhin aktuellen Energiekrise ist Energiesparen wichtig. Deshalb rät der TÜVNord Autofahrenden, die Sprit und Geld sparen wollen, auf Autobahnen mit einem gleichmäßigen Tempo und nicht schneller als 130 km/h zu fahren.   

Langsamer Fahren bringt dem Klima mehr als gedacht

Ein sinkender Spritverbrauch bedeutet auch weniger Treibhausgase und mehr Klimaschutz. Bisher ging das Umweltbundesamt davon aus, dass die Menge der ausgestoßenen Treibhausgase bei einem Tempolimit von 120 Stundenkilometern um 2,6 Millionen Tonnen sinkt. In seiner jüngsten Arbeit kommt das Umweltbundesamt jedoch auf eine wesentlich größere Ersparnis, weil jetzt auch Nebeneffekte eingerechnet wurden. Denn bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung – so die Annahme – würden mehr Menschen die kürzeste statt der schnellsten Route wählen oder auch gleich auf die Bahn umsteigen. Mit diesen Effekten kommt das Umweltbundesamt insgesamt zu einer Treibhausgassenkung von 6,7 Millionen Tonnen CO2.  

Zum Vergleich: Der Verkehr stößt jährlich insgesamt 165 Millionen Tonnen CO2 aus. Dabei sind allein die PKW für 71 Prozent und der gesamte Straßenverkehr für 95 Prozent verantwortlich. Bis 2030 sollen die Treibhausgase im Vergleich zu 1990 halbiert werden. Eine enorme Herausforderung, denn bisher hat der Sektor wenig zum Klimaschutz beigetragen. Auch die aktuell geplanten Klimaschutzmaßnahmen von Verkehrsminister Volker Wissing reichen laut dem Expertenrat für Klimafragen nicht aus. Ein Tempolimit von 120 reduziert die Emissionen nach den neuen Zahlen des Umweltbundesamtes im Verkehrssektor um 4,2 Prozent. Zusammen mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 km/h auf Landstraßen würden die CO2-Emissionen demnach um fünf Prozent sinken. Das ist knapp doppelt so viel, wie der innerdeutsche Luftverkehr ausstößt.   

Treibhausgase sind nicht das einzige Problem

Doch die Verbrenner pusten nicht nur CO2 in die Luft, sondern auch Stickoxide, Kohlenmonoxid und Feinstaub. Zurzeit laufen immer noch Klagen gegen Autobauer wegen eines zu hohen Ausstoßes durch eingebaute Abschalteinrichtungen. Zusätzlicher Feinstaub und Mikroplastik gelangen durch den Reifenabrieb in die Umwelt. Dies führt zu Lungenschäden und mehr Sterbefällen. Je höher die Geschwindigkeit, desto größer sind auch die Emissionen. Ein Tempolimit würde dies reduzieren. Laut Umweltbundesamt sinken bei einer Begrenzung von 120 km/h auf Autobahnen und 80 km/h außerorts die Emissionen von Stickstoffoxiden um 12 Prozent und die von Feinstaub um über 10 Prozent je zurückgelegten Kilometer.  

Außerdem: Je langsamer ein Auto fährt, desto weniger Reibung – desto leiser das Auto und desto geringer die Lärmbelastung.  Dies wäre vor allem für die 15 Millionen Menschen gut, die nicht weiter als zwei Kilometer zum nächsten Autobahnabschnitt ohne Tempolimit entfernt leben. Denn weniger Lärm und weniger Schadstoffe bedeuten mehr Lebensqualität.   

Tempolimit könnte Stau und Unfälle reduzieren

Und auch auf den Autobahnen würde sich etwas verändern. Ein allgemeines Tempolimit von 130 Stundenkilometern würde zu geringeren Geschwindigkeitsunterschieden auf den Autobahnen führen. Denn während der LKW auf der rechten Spur mit 80 km/h fast schon dahinschleicht, rasen die hochmotorisierten Premiummodelle auf der linken Spur mit teilweise über 200 Stundenkilometern vorbei. Bei weniger extremen Unterschieden würden Autofahrer weniger überraschend bremsen und beschleunigen. Der Verkehrsfluss würde davon profitieren.  

Ein Tempolimit reduziert zudem die Anzahl der Getöteten, Schwer- und Leichtverletzten. Denn laut Statistischem Bundesamt war eine nicht angepasste Geschwindigkeit die Unfallursache bei fast der Hälfte aller Verkehrstoten auf deutschen Autobahnen. Hinzu kommen Unfälle durch Überholmanöver und mangelnden Abstand. Denn eine hohe Geschwindigkeit vergrößert nicht nur den Reaktions- und Bremsweg, sondern auch die Wucht des Aufpralls. Laut der Unfalldatenbank der Versicherer können bei einem Tempolimit von 130 immerhin fünf Prozent der Unfälle auf Autobahnen vermieden werden.  

Schneller Fahren spart kaum Zeit

Rein rechnerisch führt ein Tempolimit zu längeren Fahrzeiten. Wer nur 130 km/h fährt, braucht länger als jemand, der mit 160 km/h unterwegs ist. Jedoch ist der Zeitverlust gering. Auf einer Strecke von 50 Kilometern ist ein Auto mit 130 km/h gerade einmal vier Minuten langsamer als eines mit 160 km/h. Aufs gesamte Jahr gerechnet beträgt die Zeitersparnis ohne Tempolimit laut Umweltbundesamt nur ein Prozent. In der Praxis erwarten Verkehrsforscher außerdem auch positive Zeiteffekte.  Weniger Unfälle, weniger Staus, Streckensperrungen und Umfahrungen könnten die Fahrtzeit gegenüber heute sogar verkürzen.   

Tempolimit - das Ende der PS-starken Fahrzeuge?

Die Autobauer fürchten angesichts der Debatte ums Tempolimit um ihr Image und sinkende Verkaufszahlen bei den Premiummodellen. Denn ein Tempolimit könne den Mythos der deutschen Autobahn beschädigen und damit die Marke „Made in Germany“ schwächen. Tatsächlich würde ein Tempolimit den Trend zu immer schnelleren und leistungsstärkeren Autos abbremsen. Gleichzeitig könnten jedoch zukunftsweisende Technologien beschleunigt werden. Denn bei Elektroautos steigt der Energieverbrauch bei hohen Geschwindigkeiten deutlich an, damit sinkt die Reichweite. Und autonomes Fahren ist umso leichter in die Praxis umzusetzen, je niedriger die Geschwindigkeit und die Geschwindigkeitsunterschiede sind.  

Baden-Baden

Stau-Hotspot A8 bei Pforzheim Verkehrsforscher: "Tempo 100 sorgt für weniger Staus"

Verkehrsforscher Andreas Knie vergleicht im SWR Aktuell-Interview die Verkehrssituation vor und nach Corona. Er verrät, was sich verändert hat - und was sich noch ändern muss.

SWR Aktuell am Nachmittag SWR Aktuell

Mobilitätswende Was spricht für ein generelles Tempolimit von 30 km/h in Innenstädten?

Immer häufiger fordern Initiativen und Umweltschützer wie die Deutsche Umwelthilfe ein generelles Tempolimit von 30 km/h in Innenstädten. Würde flächendeckend Tempo 30 Sinn machen?

Am Mittag SWR4 Rheinland-Pfalz

BW-Trend Oktober 2021 Klimaschutz in Baden-Württemberg: Mehrheit findet Tempolimit auf Autobahnen richtig

Breite Zustimmung für mehr Klima- und Umweltschutz. Aber deutliche Unterschiede bei den Meinungen, wie die richtigen Maßnahmen dafür aussehen sollen. Das sind die Ergebnisse der aktuellen Umfrage BW-Trend.

Stand
AUTOR/IN
Jurek Brzoska
ONLINEFASSUNG
Tamara Land
Tamara Land, SWR Wirtschaftsredaktion (Foto: SWR, SWR)