Vitamin D soll ein wahres Wundermittel sein und sogar bei Corona helfen. Unser Körper kann das Vitamin D, ein Hormon, in der Haut selbst herstellen, wenn wir uns in der Sonne aufhalten.
Wo Vitamin D auf natürliche Weise vorkommt
Außerdem steckt Vitamin D in zahlreichen Lebensmitteln, etwa in Seefischen, Eiern, Pilzen oder Käse. Diese Kombination reicht bei den meisten Menschen für eine ausreichende Vitamin D-Versorgung aus. Ansonsten empfiehlt das Bundesinstitut für Risikobewertung eine tägliche Aufnahmemenge von maximal 20 Mikrogramm Vitamin D - wenn man nicht in die Sonne kommt. Das entspricht 800 internationalen Einheiten (IE).
Vitamin D zur Nahrungsergänzung und als Zusatz in Lebensmitteln
In Apotheken oder Drogerien gibt es jedoch Vitamin D-Produkte, die viel höher dosiert sind und teilweise bis zu 5.600 Einheiten enthalten - frei verkäuflich. Über das Internet finden sich sogar Produkte mit bis zu 20.000 internationalen Einheiten (IE). Die gibt es sonst nur auf Rezept. Wer wissen möchte, ob ein zusätzlicher Vitaminbedarf besteht, kann von seinem Arzt den Blutserumspiegel untersuchen lassen.
Auch die Lebensmittelindustrie springt auf den Trend auf. Immer mehr Lebensmittel werden mit Vitamin D angereichert: Joghurt mit extra Vitamin D, Fruchtsäfte mit Vitamin D für Wachstum und Knochenentwicklung, Milchersatzprodukte - alles mit Vitamin D gepimpt.

Jutta Saumweber, Verbraucherzentrale Bayern, hat sich die Produkte genauer angeschaut. Sie hat den Eindruck, dass in Lebensmitteln „gerade durch die Coronakrise Vitamin D verstärkt angereichert wird und inflationär in die Produkte gekommen ist“. Das kann sich schnell addieren: So deckt etwa ein großer Becher Fruchtzwerg bereits 25 Prozent der empfohlenen Tageszufuhr für Vitamin D, ebenso wie eine Tasse Alpro Sojamilch Vanille. Ein Glas des Amecke Vitamin-D-Safts enthält bereits 100 Prozent.
Warum Ernährungswissenschaftler vor dem Hype um Vitamin D warnen
Ernährungsmediziner sehen die vielen Lebensmittel mit Vitamin D kritisch. Denn Vitamin D wird im Fett- und Muskelgewebe und in der Leber gespeichert. Eine Überdosierung kann also gefährlich werden. Professor Andreas Michalsen ist Ernährungsmediziner, Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde im Immanuel-Krankenhaus Berlin und Professor für klinische Naturheilkunde an der Charité.
„Das kann für die Niere und für manche Organe kritisch werden und deswegen ist das ein Beispiel, wo man sagen kann, wir sollten es nicht frei überall reingeben.“

Lebensmittelhersteller setzen Vitamin D zu
Wegen der Gefahr der Überdosierung ist eine Anreicherung von Lebensmitteln in Deutschland eigentlich verboten. Nur für bestimmte Produkte gibt es eine Ausnahmegenehmigung, etwa für Margarine und Streichfette. Jutta Saumweber hat die mit Vitamin D angereicherten Lebensmittel genauer unter die Lupe genommen.
„Bei den meisten Produkten ist der Vitamin D-Zusatz nicht erlaubt, da braucht man eine Ausnahmegenehmigung, wenn man sie anreichern möchte. Die haben die Hersteller aber nicht.“
Anreicherung mit Vitamin D ohne Ausnahmegenehmigung
Milchersatzprodukte, Joghurt und Joghurtdrinks, Tees und Fruchtsäfte - alle angereichert mit Vitamin D. Dafür bräuchten die Produkte eine Ausnahmegenehmigung vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.
Doch die Verbraucherzentrale hat herausgefunden: 70 Prozent der von ihnen geprüften Produkte haben die erforderliche Ausnahmegenehmigung nicht.
„Diese Produkte dürften unserer Meinung nach so nicht auf dem Markt sein.“
Produkte mit Vitamin D ohne Genehmigung – was die Hersteller sagen
Wie kann das sein? Wir fragen die Hersteller, warum sie ihre Produkte mit Vitamin D-Zusatz vertreiben, für die sie keine Genehmigung der deutschen Behörden haben.
Danone verweist auf die anderslautende EU-Gesetzgebung: „Wir teilen die Auffassung des Lebensmittelverbandes, dass ein nationales Verbot der Vitamin D-Anreicherung aus europäischer Perspektive rechtswidrig ist.“ (Danone Waters Deutschland GmbH)
Auch Edeka ist der Auffassung: „Nach dem vorrangigen EU-Recht ist die Anreicherung von Lebensmitteln mit Vitamin D zulässig und in der EU auch gängige Praxis.“ (Edeka Zentrale Stiftung & Co. KG)
Und auch die anderen Hersteller beziehen sich auf europäisches Recht, das aus ihrer Sicht die Anreicherung mit Vitamin D erlaubt.
Nach deutschem Recht verboten, nach europäischem Recht erlaubt?
Seit 2006 gibt es ein EU-Gesetz, das die Anreicherung von Lebensmitteln mit Vitaminen generell erlaubt – auch mit Vitamin D. Allerdings wurden bislang keine Höchstmengen festgelegt. So lange gilt eine Übergangsregelung, und die Mitgliedsländer können regeln, wie sie wollen.
In Deutschland galt bisher: Die Anreicherung von Lebensmitteln mit Vitamin D ist grundsätzlich verboten – außer, wenn die Produkte eine Ausnahmegenehmigung oder eine Allgemeinverfügung haben. Allerdings: In der aktuellen Fassung des Lebensmittelgesetzes wird auf das EU-Gesetz verwiesen. Das wiederum verweist auf nationale Regelungen, weil man seit 15 Jahren keine einheitliche Regelung für die EU gefunden hat.
Auf die Frage, ob die Unternehmen eine Gesetzeslücke nutzen, verweist uns das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft auf die Behörden der einzelnen Bundesländer. Sie seien für die Überwachung der Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften zuständig.
Lebensmittelüberwachung der Bundesländer in Zugzwang
Im Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg ist Birgit Bienzle zuständig für die Lebensmittelüberwachung.
„Wenn es weder Zulassung gibt noch Ausnahmegenehmigung noch Allgemeinverfügung wäre das Produkt verboten, wenn auf der Packung draufsteht 'mit Vitamin D angereichert'. Dann müsste die Überwachung sagen, das muss aus dem Verkehr genommen werden. Der Unternehmer hat dann die Möglichkeit, eine Ausnahmegenehmigung – wenn es sich um einen inländischen Betrieb handelt – oder eine Allgemeinverfügung zu beantragen.“
Für sie ist klar: Die Unternehmen wissen, dass ihre Produkte nicht rechtskonform auf dem Markt sind.
Wie streng die Lebensmittelüberwachungsämter nun tatsächlich vorgehen, wird sich zeigen. Eine baldige einheitliche EU-Regelung wäre nicht nur wichtig für die Unternehmen, sondern auch für den Verbraucherschutz.