Weltweit ist mehr als die Hälfte aller Erwachsenen übergewichtig - davon geht die Weltgesundheitsorganisation, WHO, aus. Die Zahl der Menschen, die an Übergewicht leiden, steigt seit Jahren. In der Corona-Pandemie hat sich die Entwicklung noch weiter fortgesetzt.
Übergewicht und Adipositas - starkes oder krankhaftes Übergewicht - werden zunehmend zum Problem, nicht nur für die Betroffenen. Denn ein zu hohes Körpergewicht bringt hohe gesundheitliche Risiken mit sich - und enorme Kosten für die gesamte Gesellschaft, sagt Professor Matthias Blüher im SWR-Interview. Er ist Leiter der Adipositas-Ambulanz des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums Adipositas-Erkrankungen an der Universität Leipzig.

Deutschland bei Übergewicht unter den Spitzenreitern in Europa
Weltweit hat sich die Häufigkeit von Übergewicht in den letzten Jahrzehnten verdreifacht, erklärt Matthias Blüher. Deutschland liege dabei im Trend, gehöre sogar zu den Spitzenreitern in Europa. Die Ursache für das schlechtere Abschneiden Deutschlands im Vergleich zu Ländern wie Frankreich oder Italien ist nicht einfach festzumachen.
Ein Erklärungsansatz zielt auf die Lebens- und Ernährungsweise in Deutschland ab. Zum einen sei das hier eben nicht die typische mediterrane Mischkost, so Matthias Blüher, zum anderen sei die Lebens- und Arbeitswelt in einem Industrieland wie Deutschland hochtechnisiert - vom Weg zur Arbeit mit Auto, Bus oder Bahn bis zum Job im Sitzen. Diese Lebensweise trage dazu bei, dass die Menschen in Deutschland ein hohes Risiko für Adipositas hätten.
Die Verbraucherorganisation Foodwatch sieht eine klare Mitverantwortung bei der Lebensmittelindustrie, die viel Zucker in ihren Produkten einsetzt und zuckerhaltige Lebensmittel aggressiv bewerbe. Verbraucherschützer sehen zudem die Politik in der Pflicht.

Ursachenforschung ist hochkomplex
Gleichzeitig warnt Experte Matthias Blüher davor, es sich bei der Suche nach den Ursachen zu einfach zu machen. Eine unausgewogene Balance zwischen zu viel Essen, zu wenig Bewegung und einem langsamen Stoffwechsel erscheine auf den ersten Blick einfach zu verstehen.
Was aber zu dieser Lebensweise führe, sei wesentlich komplexer. Matthias Blüher spricht von einem Zusammenwirken von biologischen Faktoren, wie dem jeweiligen Hormonprofil, und auch gesellschaftlichen Faktoren.

SWR-Umweltredakteurin Sabine Schütze sieht beim Thema Ernährung die Politik gefordert. In Ihrem Kommentar kritisiert sie, dass im Kampf gegen Übergewicht bisher zu wenig passiert sei.
Adipositas erhöht Risiko für zahlreiche Krankheiten
Über 60 Erkrankungen stehen im Zusammenhang mit Übergewicht, davon geht die Forschung aus. Dazu gehört ein hohes Risiko für Typ-2 -Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gelenkprobleme, Lungenprobleme, und auch einige Arten von Krebs werden durch Übergewicht gefördert.
Schätzungen: 60 Milliarden Euro Kosten durch Übergewicht - jedes Jahr
Adipositas gehe mit körperlichen Einschränkungen einher, erklärt Matthias Blüher, und starkes Übergewicht führe - durch die körperliche Belastung und das erhöhte Gesundheitsrisiko - zu Ausfällen und Fehlzeiten bei der Arbeit.
"Für Unternehmen stellt Adipositas ein erhebliches Problem dar. Es gibt also auch eine starke ökonomische Komponente, die zunehmend unsere Gesellschaft - aber auch die Wirtschaft - belastet."
Adipositas verursache hohe indirekte Kosten für das Gesellschaftssystem, sagt Matthias Blüher, die noch zu den direkten Kosten für das Gesundheitssystem dazu kämen. Eine Schätzung von 2015 gehe davon aus, dass jährlich über 30 Milliarden Euro an direkten Kosten wie medizinischen Behandlungen anfielen. Die indirekten Kosten, etwa durch Arbeitsausfälle oder einen früheren Renteneintritt, würden zusätzlich auf über 30 Milliarden Euro geschätzt. So entstünden demnach 60 Milliarden Euro Kosten pro Jahr - das sei eine erhebliche Belastung.
Hintergründe rund um die Ursachen, die gesundheitlichen und die wirtschaftlichen Folgen von Adipositas beleuchtet die Sendung SWR2 Geld Markt Meinung vom 10. Juli 2021. Darin auch Tipps zum Abnehmen von einer Ernährungsexpertin:
Studien mit Einsparungsvorschlägen
Es gibt zahlreiche Studien und Hochrechnungen zu den Folgen und Kosten von Übergewicht, beispielsweise eine Studie der OECD, die Deutschland zuletzt vergleichsweise sehr hohe Behandlungskosten bescheinigt hat. Gleichzeitig haben die Experten festgestellt, wie mit unterschiedlichen Gegenmaßnahmen hohe Kosten eingespart werden können.