Rollstühle, Windeln und Co

Was Sie über die Beantragung von Hilfsmitteln wissen sollten

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AUTOR/IN
Dorothée Panse

Wenn Krankenkassen dringend benötigte Hilfsmittel verweigern, folgt oft ein jahrelanger Kampf, der Betroffene zermürbt. Mit unseren Tipps können Sie den Vorgang oft abkürzen.

Fast jeder ist im Laufe seines Lebens auf medizinische Hilfsmittel wie hochwertige Inkontinenzprodukte angewiesen. Für die Betroffenen zählt dann vor allem eines: schnelle und unkomplizierte Hilfe. Doch immer wieder mauern die Krankenkassen, verweigern dringend benötigte Hilfsmittel.

Belastung der Versicherten steigt

Die Zuzahlungen gesetzlich Krankenversicherter in Deutschland sind von 2017 bis 2018 um 8,8 Prozent gestiegen. Laut vorläufigen Zahlen betrugen sie im 2018 insgesamt 4,21 Milliarden Euro. Die Belastung durch Zuzahlungen für Heil- und Hilfsmitteln erhöhte sich dabei von 887 Milliarden um 5,3 Prozent auf 934 Milliarden. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor. 

Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, kommentiert das wie folgt:

Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland (Foto: dpa Bildfunk, Bernd von Jutrczenka)
Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland: „Belastung der Patienten muss ein Ende haben!“

„Es darf nicht sein, dass Versicherte durch immer mehr Zuzahlungen an die Grenze der Belastungsfähigkeit gebracht werden. Es sind aber nicht nur die Zuzahlungen, die Patienten belasten. Hinzu kommen noch hohe Aufzahlungen für Hilfsmittel, Arzneimittel, die komplett selbst bezahlt werden müssen, und hohe Kosten für Zahnersatz.
Diese Entwicklung macht Menschen mit geringem Einkommen, vor allem Älteren und chronisch Kranken, zu schaffen. (…) Für gute Hilfsmittel wie Inkontinenzwindeln oder Hörgeräte müssen Versicherte hohe Eigenanteile leisten. (…) Die Belastung der Patienten muss ein Ende haben. Gesundheit muss für alle Menschen bezahlbar sein. Die Gesundheitspolitik muss deshalb Leistungsausgrenzungen sowie höhere Belastungen der Patienten durch Zuzahlungen verhindern.“

Doch solange sich die Rechtslage nicht ändert, hilft es den Betroffenen zumindest, ihre Rechte zu kennen und nur das zu bezahlen, was nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten nicht übernommen wird.

Hilfsmittel: Vom Anspruch über den Antrag bis zum Erhalt

Hilfsmittel sind Produkte, die Menschen mit Behinderung oder einer Erkrankung im Alltag unterstützen. Dazu gehören beispielsweise Hörgeräte, Rollstühle oder Inkontinenzprodukte.
Die Krankenkassen dürfen die Kosten der Hilfsmittel nur übernehmen, wenn diese erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen.

Neben den Hilfsmitteln, die von der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden, gibt es verschiedene Produkte, die von der Pflegeversicherung übernommen werden. Zu diesen sogenannten Pflegehilfsmitteln zählen beispielsweise Pflegebett, Einmalhandschuhe oder Betteinlagen.

Tipp: Ist jemand pflegebedürftig und werden die Hilfsmittel nicht von der Krankenkasse übernommen, lohnt es sich zu überprüfen, ob dafür nicht die Pflegeversicherung einspringt.

Rezept - je präziser, desto besser

Damit Ihre Krankenkasse ein Hilfsmittel erstattet, benötigen Sie eine Verordnung (Rezept) Ihres Arztes.

Tipp: Achten Sie darauf, dass der Arzt die Verordnung möglichst präzise ausfüllt. Aus dem Rezept muss unbedingt die medizinische Notwendigkeit hervorgehen. Der Arzt sollte ferner genau beschreiben, welches Hilfsmittel Sie wofür brauchen. Jedes Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis der GKV hat eine eindeutige Identifikationsnummer. Gut ist, wenn sie bereits auf dem Rezept vermerkt ist.

Kostenvoranschlag des Leistungsträgers

Anschließend erkundigen Sie sich bei Ihrer Krankenkasse nach Anbietern, mit denen diese Leistungsverträge abgeschlossen hat. Bei den genannten Anbietern lassen Sie sich einen Kostenvoranschlag erstellen.
Versicherte haben Anspruch auf medizinisch ausreichende Hilfsmittel. Zumeist handelt es sich um Standardausführungen, bei denen neben der gesetzlichen Zuzahlung keine Eigenleistungen zu zahlen sind.

Hinweis: Der gesetzliche Eigenanteil des Patienten beträgt zehn Prozent der Kosten für jedes Hilfsmittel, jedoch mindestens fünf und höchstens zehn Euro. Bei Hilfsmitteln, die zum Verbrauch bestimmt sind (zum Beispiel Windeln bei Inkontinenz), ist die Zuzahlung auf höchstens zehn Euro im Monat beschränkt.

Tipp: Lassen Sie sich nicht zur Wahl eines Geräts mit hohem Eigenanteil drängen. Probieren Sie auf jeden Fall erst die sogenannten "Kassengeräte" aus. Der Leistungsträger ist verpflichtet, Ihnen ein Modell anzubieten, das Ihren medizinischen Bedarf ohne eigene Zahlung abdeckt.

Und: Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen müssen zwar Zuzahlungen leisten, es gibt jedoch Belastungsrenzen. Wie man seine persönliche Belastungsgrenze berechnet und sich von darüber liegenden Zahlungen befreien lassen kann, das hat die Verbraucherzentrale zusammengestellt .

Unterlagen für die Kasse: Rezept und Kostenvoranschlag

Neben dem Rezept müssen Sie auch den Kostenvoranschlag bei Ihrer Krankenkasse einreichen. Es kann hilfreich sein, ein separates Anschreiben an die Krankenkasse zu formulieren, in dem Sie Ihre persönliche Situation aufzeigen und begründen, warum Sie das Hilfsmittel benötigen. Hierin können Sie mitteilen, welche Einschränkungen Sie haben.

Tipp: Je detaillierter das Rezept und Ihr Anschreiben sind, desto eher ist für Ihre Kasse nachvollziehbar, warum und wofür Sie das Hilfsmittel benötigen. Pflegedienste, Sanitätshäuser, Apotheken oder Patientenberatungsstellen können helfen, hier möglichst präzise zu formulieren. Für den Sachbearbeiter dienen die Unterlagen als eine Entscheidungshilfe, da es ihm aufgrund eines solchen Schreibens leichter fällt, zu beurteilen, ob das Hilfsmittel erforderlich ist.

Ärgernis Inkontinenzhilfen: Wenn Sie mehr brauchen, als das „Kassenmodell“

Inkontinenzhilfen sind ein großer Zankapfel zwischen Kassen und Versicherten: Viele Produkte, die Vertragspartner der Kassen liefern, sind nicht optimal auf die Bedürfnisse der Patienten zugeschnitten. In derartigen Fällen empfiehlt es sich, bei den Krankenkassen Anträge auf Versorgung mit Inkontinenzhilfen von ausreichender Qualität zu stellen.

Wenn Sie dabei Inkontinenzhilfen einer bestimmten Marke oder einem qualitativ gleichwertigen Produkt beantragen, achten Sie auf die genaue Produktbezeichnung und listen Sie die Gebrauchsvorteile im Einzelnen und möglichst konkret auf, also beispielsweise eine ausreichende Saugleistung, einen ausreichenden Auslaufschutz an allen Rändern, einen hinreichenden Rücknässeschutz, eine geeignete Passform oder ausreichend starke Klebestreifen.

Tipp: Musterschreiben zu diesem Bereich finden Sie zum Beispiel beim Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V. (bvkm), beim Selbsthilfeverbandes Inkontinenz e.V. oder beim Landesverband Bayern der Lebenshilfe.

Rezept einlösen

Die Leistungsanbieter, also die Apotheken, Orthopädietechniker, Optiker und Sanitätshäuser, rechnen unter Vorlage des Rezepts und des Kostenvoranschlags mit der Krankenkasse ab.

Achtung: Erst zu diesem Zeitpunkt entscheidet die Kasse, ob sie das Hilfsmittel überhaupt gewährt und die Kosten trägt. Warten Sie daher den Bescheid der Krankenkasse unbedingt ab. Vorher gekaufte Hilfsmittel müssen in der Regel selbst bezahlt werden.

Fristen für die Entscheidung

Krankenkassen müssen über Anträge auf Leistungen innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang entscheiden. Ist die Stellungnahme eines Gutachters erforderlich, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, so verlängert sich die Frist auf fünf Wochen.

Kann die Krankenkasse diese Frist nicht einhalten, muss sie Sie rechtzeitig schriftlich mit Begründung informieren. Erhalten Sie nach Ablauf der genannten Frist keine schriftliche Begründung, gilt der Antrag als bewilligt. Juristisch wird dies "fiktive Genehmigung" genannt.

Aber Achtung: Ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 15. März 2018 schränkt diese Regel bei Hilfsmitteln ein. Bei einem Antrag auf Kostenübernahme für ein Hilfsmittel können behinderte Menschen nicht immer von der fiktiven Genehmigung ihres Leistungsantrags ausgehen. Nur wenn das Hilfsmittel der Sicherung der Krankenbehandlung dient, gilt der Antrag auf Kostenübernahme nach Ablauf der gesetzlichen Fristen als „fiktiv“ genehmigt (Az.: B 3 KR 4/16 R, B 3 KR 18/17 R und B 3 KR 12/17 R). Was das jetzt genau heißt und wie sich das auf die Beantragung auswirkt, müssen noch die Vorinstanzen entscheiden.

Widerspruch rechtzeitig einlegen

Erhalten Sie eine schriftliche Ablehnung, haben Sie einen Monat Zeit, zu widersprechen. Um die Frist zu wahren, reicht ein von Hand unterschriebener Brief, den Sie am besten per Einschreiben schicken. Per Telefon oder Mail ist der Widerspruch nicht gültig. Im Brief sollte aufgeführt sein, gegen welchen Bescheid Sie Widerspruch einlegen (mit Datum und Aktenzeichen) und dass Sie beantragen, den Ablehnungsbescheid aufzuheben, sowie die Kosten zu übernehmen. Warum Sie nicht einverstanden sind, können Sie in einer ausführlichen Begründung später nachreichen.

Unterstützung gesucht

Hilfe bekommen Sie bei Selbsthilfegruppen und den Verbraucherzentralen. Rechtlichen Beistand für ihre Mitglieder bieten die Sozialverbände wie der VdK und viele Gewerkschaften an. Möchten Sie einen Anwalt einschalten, ist er idealerweise ein Fachanwalt für Sozialrecht.

Hinweis: Hat ihr Widerspruch Erfolg, muss die Krankenversicherung Ihnen auch entstandene Beratungskosten erstatten.

Beschwerde einreichen

Wenn Sie den Eindruck haben, dass die Krankenkasse Ihnen Rechte vorenthält oder die Bearbeitung Ihres Falles ungebührlich lange dauert, dann können Sie sich beim Bundesversicherungsamt in Bonn beschweren.

Falls Sie das Verhalten ihres Ansprechpartners bei der Kasse als unangemessen empfinden, können Sie zudem an den Vorstand Ihrer Krankenversicherung schreiben.

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Dorothée Panse