Seitenansicht eines Kühlregals im Supermarkt: Rückrufwelle: Krebserregendes Ethylenoxid in Lebensmitteln gefunden (Foto: Colourbox, COLOURBOX12163964)

Rückrufwelle

Krebserregendes Ethylenoxid in Lebensmitteln gefunden

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Beate Bastian
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Maren Krämer

Eis, Instantnudeln, Currys, Nahrungsergänzungsmittel – immer mehr Rückrufe wegen Ethylenoxid. Das krebserregende Desinfektionsmittel ist bei uns längst verboten, kommt aber aus dem Nicht-EU-Ausland in unser Essen.

Tausendfach wird in Europa zurzeit Essen vernichtet. Der Grund: viele Nahrungsmittel enthalten hochgiftiges Ethylenoxid. Der Stoff ist ein farbloses Gas, ein Pestizid, das vor allem als Desinfektionsmittel eingesetzt wird. Er gilt als krebserregend und erbgutverändernd und sorgt momentan für eine regelrechte Rückrufwelle von verunreinigten Produkten.

Ausmaß der Rückrufe noch nicht zu übersehen

Regelmäßig müssen Firmen Lebensmittel zurückrufen. Mal wegen Keimbelastung, mal wegen falscher Kennzeichnungen. Das ist nicht neu. Doch die Dimension, die im Moment zu beobachten ist, gab es bisher selten. Hersteller rufen immer mehr Artikel zurück – darunter auch Bio-Produkte.

Im Labor des Chemischen- und Veterinär-Untersuchungsamtes CVUA in Stuttgart sitzen DIE Experten für den Nachweis des Giftes in Europa. Seit den ersten Funden von Ethylenoxid in indischem Sesam vor rund einem Jahr haben sie ein Verfahren entwickelt, mit dem sich der Stoff schneller nachweisen lässt.

Eine Frau untersucht im Labor Lebensmittelproben. (Foto: SWR)
Im Labor des Chemischen und Veterinär-Untersuchungsamtes in Stuttgart werden die Proben mit einem speziellen Verfahren untersucht.

Seitdem wurden rund 800 Proben untersucht – und viel Gift entdeckt: „Sehr schnell fündig geworden sind wir bei Pflanzenpulvern und Nahrungsergänzungsmittel", erklärt Dr. Florian Hägele vom CVUA. "Nicht nur die Befundhäufigkeit hat uns überrascht, sondern auch die Gehalte, die wir in diesen Nahrungsergänzungsmitteln gefunden haben. Normalerweise bewegen wir uns bei den Rückständen im Mikrogrammbereich. Diesmal war es im Milligrammbereich, also sehr viel mehr als üblich.“

So gerät Ethylenoxid in unser Essen

Von den Rückrufen haben bis jetzt die wenigsten Verbraucher etwas mitbekommen. Dabei ist Ethylenoxid bei der Verarbeitung von Lebensmitteln in Deutschland seit 40 Jahren verboten. Wie ist es trotzdem in die Produkte geraten?

Während das Pestizid in der EU nicht erlaubt ist, wird es in etlichen Drittstaaten weiterhin zur Bekämpfung von Pilzen und Bakterien eingesetzt. Inzwischen steht fest: Nicht nur Sesam, sondern auch viele weitere Rohstoffe und Zutaten sind belastet. Unter anderem Johannisbrotkernmehl (E410) und Guarkernmehl (E412), die in Salatsaucen, Suppen, Fertigprodukten, Marmeladen, Eiscreme und vielem mehr als Verdickungsmittel und Stabilisator eingesetzt werden.

„Diese Stoffe finden in der Lebensmittelindustrie ganz vielfältige Anwendungen. Es ist noch nicht genau abzusehen, wie groß der Kreis der betroffenen Produkte noch wird. Es könnte sein, dass das erst die Spitze des Eisberges ist.“

Experte Florian Hägele steht im Labor. (Foto: SWR)
Florian Hägele untersucht den Gehalt von Ethylenoxid in Lebensmitteln.

Das Problem: Nur stichprobenartige Kontrollen bei Rohstoffen

Besonders betroffen ist Johannisbrotkernmehl aus der Türkei. 360 Tonnen davon wurden laut Statistischem Bundesamt vergangenes Jahr nach Deutschland importiert, viel davon ist schon in unseren Lebensmitteln verarbeitet.

Die belasteten Rohstoffe kommen in der Regel per Schiff zu uns nach Deutschland. Kontrolliert wird die Ware zum Beispiel am Hamburger Hafen. Allerdings können nicht alle Lieferungen überprüft werden, üblich sind nur Stichproben. Nach den ersten Funden beschließt die EU: Ethylenoxid ist so gefährlich, dass dafür kein Grenzwert als unbedenklich gilt.

Laut Dario Sarmadi, Pressesprecher der Verbraucherorganisation Foodwatch, reagiere Deutschland bisher allerdings noch nicht streng genug auf diesen Beschluss: „Die EU-Staaten haben sich zusammengesetzt und ein einheitliches Vorgehen abgestimmt. Das Problem ist, dass die Behörden in Deutschland die Hersteller nicht so unter Druck setzen, wie es in anderen Ländern der Fall ist.“

Nimmt Deutschland das Problem Ethylenoxid nicht ernst genug?

In Frankreich wurden bisher Chargen von mehr als 3.600 Produkten wegen Ethylenoxid zurückgerufen. In Deutschland sind es – Stand 6. September – nur etwa 50. Und nicht alle Unternehmen rufen belastete Lebensmittel von sich aus sofort zurück.

Beispiel: Die Mars Deutschland GmbH. Laut Foodwatch habe Mars in mehreren Ländern Produkte zurückgerufen, die sie gleichzeitig in Deutschland weiterverkauft haben. Erst durch öffentlichen Druck hätte das Unternehmen die Produkte auch in Deutschland zurückgerufen. Mars Deutschland erklärt uns auf Nachfrage:

„Für Deutschland lag keine einheitliche Bewertung der zuständigen Behörden der Bundesländer vor, deren Einschätzung hier maßgeblich ist. Wir haben uns letztlich dann am 10. August zu einem freiwilligen Rückruf entschieden.“

Dario Sarmadi von Foodwatch sieht den Fehler auch in der zögerlichen Haltung der Bundesländer. „Hier setzen sich die Bundesländer, die für die Lebensmittelüberwachung verantwortlich sind, offen über diese EU-Einigung hinweg und sagen, dass sie sich nicht unbedingt daran halten müssen.“ Die Anzahl an Rückrufen sei seiner Meinung nach aktuell viel zu niedrig.

Trotz EU-Vorgaben noch kein einheitliches Vorgehen

Laut den EU-Beschlüssen müssen verarbeitete Produkte sogar vom Markt genommen werden, wenn sich in ihnen kein Ethylenoxid nachweisen lässt. Es genügt, dass die Rohstoffe darin belastet waren. Das in Baden-Württemberg für Ernährung und Verbraucherschutz zuständige Ministerium will sich daran allerdings nicht halten:

"Amtliche Maßnahmen können nicht nur auf Verlautbarungen der EU-Kommission gestützt werden (...). Daher sehen wir keine Rechtsgrundlage, um einen Rückruf für solche Erzeugnisse anzuordnen, in denen Ethylenoxid (...) nicht bestimmbar sind."

So erfahren Sie, welche Lebensmittel mit Ethylenoxid belastet sind

Besonders auffällig ist, dass viele Produkte mit Ethylenoxid belastet sind, mit denen sich Verbraucher gesund ernähren wollen. Das Gift wurde zum Beispiel auch in Amaranth, Moringa und Flohsamen nachgewiesen. Die sogenannten Superfoods waren bei den Tests überdurchschnittlich belastet, etwa jede fünfte Probe enthielt den giftigen Stoff.

Kapseln mit Nahrungsergänzungsmitteln liegen auf einer Platte. (Foto: SWR)
Nahrungsergänzungsmittel sind laut Florian Hägele besonders häufig mit Ethylenoxid belastet.

Bei verarbeiteten Lebensmitteln ist es für den Verbraucher unmöglich zu erkennen, ob in den Rohstoffen wie Sesam oder Johannisbrotkernmehl Ethylenoxid enthalten ist.

Experte Florian Hägele empfiehlt: „Kochen Sie lieber selbst und greifen sie weniger auf verarbeitete Produkte zurück.“ Und verfolgen Sie weitere Rückrufe. Hilfe bietet hierbei beispielsweise das Portal des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.

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