Wenn das Sicherheitsnetz reißt

Vorsicht vor fatalen Fehlern bei der Berufsunfähigkeitsversicherung

Stand
AUTOR/IN
Angelika Scheffler-Ronen
Margareta Holzreiter
Sigrid Born

Die kostspielige Berufsunfähigkeitsversicherung soll ein existenzielles Risiko absichern. Immer wieder gibt es ein böses Erwachen. Wir erklären, was beim Abschluss zu beachten ist.

Inhaltsangabe:

Die Berufsunfähigkeitsversicherung gehört zu den wichtigsten und unumstrittensten Versicherungen, die Erwachsene bis zum Rentenalter abschließen sollten – sogar dann, wenn man sich in keinem Beschäftigungsverhältnis befindet.

In der Vergangenheit gab es allerdings immer wieder Fälle, in denen bestehende Berufsunfähigkeitsversicherungen im Ernstfall nicht gegriffen haben und die Betroffenen trotz jahrelangem Bezahlen am Ende ohne Hilfe dastanden. Ein großer Fehler, der häufig dazu führt, dass Menschen in diese existenzgefährdende Situation hineingeraten, ist die Angabe unvollständiger oder falscher Informationen zu Gesundheitsfragen. Dies kann absichtlich oder unabsichtlich durch Fehler der Versicherungskunden, aber auch durch Fehler von Versicherungsvertretern, Beratern oder Maklern passieren. Wir geben Ihnen Informationen und Tipps, wie Sie die Vollständigkeit ihre Angaben überprüfen können, womit Sie im Falle einer Corona-Erkrankung rechnen müssen und worauf Sie achten müssen, wenn Sie einen neuen Job ausüben.

Was unterscheidet Vertreter, Agenten und Makler?

  • Versicherungsvertreter und -agenten: Sind einer bestimmten Versicherung zugeordnet und erhalten von dieser Provision pro Vertragsabschluss. Sie gelten als Auge und Ohr eines Versicherungsunternehmens. Ihre Fehler gehen klar zulasten der Versicherung.
  • Unabhängige Versicherungsberater: Erhalten ihr Honorar von den Versicherungskunden. Für ihre Fehler ist nicht die Versicherung verantwortlich, sondern die Berater selbst.
  • Versicherungsmakler: Vermitteln Versicherungen für verschiedene Unternehmen. Sie sind also nicht vertraglich an eine Versicherungsgesellschaft gebunden, sondern arbeiten im Auftrag der Versicherungsnehmer und können anonym Informationen für Kunden einholen. Trotzdem dürfen sie sich nicht unabhängig nennen, da sie Provisionen von den Versicherern kassieren. Dadurch haben sie in der Regel auch ein vergleichsweise hohes Interesse daran, dass Kunden einen Vertrag abschließen, womit ein höheres Betrugsrisiko einhergehen kann. Die Fehler der Maklerseite gehen zu Lasten des Versicherten – gibt zum Beispiel der Makler den Fragebogen zu den Gesundheitsfragen des Versicherten nicht ab, so kann die Versicherung den Vertrag im Ernstfall kündigen und muss nicht zahlen. Der Versicherte kann seine Ansprüche dann höchstens noch gegenüber dem Makler geltend machen.

Tipps:

  • Verbraucherschützer raten dazu, in die Beratung durch unabhängige Versicherungsberater zu investieren. Da diese nur von Kundenseite bezahlt werden, sind sie teurer, können sich deshalb jedoch auch unabhängig von Provisionen nach den Bedürfnissen der Kunden richten.
  • Bei Versicherungsmaklern nachfragen, ob diese eine Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen haben.

Was passiert, wenn Versicherungsmakler Fehler machen?

Sollten Sie eine Berufsunfähigkeitsversicherung über einen Versicherungsmakler abschließen, leitet dieser Ihre Angaben - etwa zu bestehenden Vorerkrankungen - an die Versicherung weiter. Sollte er dabei fehlerhafte oder unvollständige Angaben gemacht haben, ist die Versicherung nicht dafür verantwortlich, diese Angaben zu prüfen:

„Werden im Aufnahmeantrag die einfach und verständlich formulierten Fragen nach Vorerkrankungen alle verneint, besteht für uns keine Veranlassung, die Angaben anzuzweifeln oder Rückfragen zu stellen.“

Wenn der Ernstfall einer Erkrankung auftritt, dann überprüft der Versicherer die Angaben zu bestehenden Vorerkrankungen. Sollten dabei Falschangaben festgestellt werden, dann kann sich der Versicherer auf arglistige Täuschung berufen und die Zahlung von Leistungen verweigern, sowie aus dem Vertrag mit dem Versicherten austreten. Das geht jedoch nur in den ersten zehn Jahren nachdem die Angaben gemacht wurden, danach verfällt dieses Recht der Versicherer.

Besonders bitter: Einen Anspruch auf Rückzahlung der eingezahlten Prämien hätte man als Kunde im Falle von unvollständigen oder falschen Angaben auch nicht. Denn das Handeln der Makler wird in den meisten Fällen nicht zum Einflussbereich des Versicherers, sondern zu dem des Versicherungskunden gezählt. Das gilt übrigens auch anderswo, beispielsweise bei der Wohngebäudeversicherung.

Die positive Nachricht: Kann das Fehlverhalten des Maklers nachgewiesen werden, kann zumindest Schadensersatz von diesem eingefordert werden. Aber dieser Anspruch verjährt nach drei Jahren.

Tipps:

  • Bei Vertragsabschluss Gesundheitsfragen und andere Angaben noch einmal in Kopie zur Prüfung von der Versicherung anfordern.
  • Wenn man Angst hat, einige vergangene Krankheiten oder Operationen möglicherweise vergessen zu haben, kann man sich von der eigenen Krankenkasse Auskunft über alle gemeldeten Krankheiten der letzten zehn Jahre geben lassen, darauf hat man kostenlos Anspruch.
  • Faustregel: Lieber zu viele Angaben machen als zu wenige.
Haftnotiz mit der Aufschrift "To-Do: Kopie meiner Angaben bei der Versicherung anfordern" (Foto: Kelly Sikkema/Unsplash)
Anhand der Kopie kann man eventuelle Fehler rechtzeitig entdecken.

Was verändert Corona an der Berufsunfähigkeitsversicherung?

In Corona-Zeiten beschäftigen wir uns mehr als sonst mit unserer Gesundheit und auch mit dem Thema Arbeit. Auch wer eine Corona-Infektion problemlos überstanden hat, kann derzeit noch nicht sicher sein, ob nicht unbekannte Spätfolgen auftreten, die schlimmstenfalls zur Arbeitsunfähigkeit führen können.

Muss die Berufsunfähigkeitsversicherung zahlen, wenn ich durch Corona-Spätfolgen nicht mehr arbeiten kann?

Ja, denn es gilt kein Risikoausschluss bei Pandemie. Covid-19 stellt also keine Ausnahme im Vergleich zu anderen Erkrankungen dar. Anders wäre es bei Reiseversicherungen: Hier gibt es einen Risikoausschluss für Pandemien. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob nicht auch Versicherer im Bereich der Erwerbsunfähigkeit zukünftig solche Ausschlussklauseln für Pandemien in ihre Verträge aufnehmen werden.

Eine Person unterschreibt einen Vertrag, darüber Animationen von Coronaviren.  (Foto: cyton photography/Unsplash, cdc/Unsplash)
Aktuell müssen Versicherer eine coronabedingte Erwerbsunfähigkeit noch abdecken. Doch wie wird sich das zukünftig entwickeln?

Kann der Versicherer einen neuen Vertrag mit mir ablehnen, weil ich an Corona erkrankt war?

Ja, denn es gilt Vertragsfreiheit. Die Versicherer betonen zwar, dass Corona kein Ablehnungsgrund sei, aber LongCovid - also die Spätfolgen einer Corona-Erkrankung - könnten ein Ablehnungsgrund werden, weil das Risiko bisher nicht abschätzbar ist. Wer bereits an Corona erkrankt war, muss also mit Ablehnungen rechnen oder möglicherweise höhere Prämien zahlen. Auch Risikoausschlüsse sind möglich.

Was passiert, wenn ich meine Corona-Erkrankung nicht bei der Versicherung angebe?

Alles, was für den Versicherer bei seiner Risikoeinschätzung relevant sein könnte, muss auch angegeben werden. Dazu zählt eine bekannte Corona-Infektion, auch wenn keinerlei Symptome aufgetreten sind. Im Regelfall wird nach Lungenerkrankungen/Erkrankungen der Atmungsorgane gefragt, in diesem Bereich muss eine Corona-Erkrankung angegeben werden. Wird die Erkrankung nicht angegeben, kann das dazu führen, dass der Kunde seinen Versicherungsschutz und den Anspruch auf die Rückzahlung eingezahlter Prämien verliert. Dies ist nicht der Fall, wenn man nichts von der Erkrankung wusste.

Unter welchen Voraussetzungen bekomme ich Berufsunfähigkeitsrente?

Nicht alle Menschen bleiben für ihre gesamte berufliche Laufbahn bei der gleichen Tätigkeit. Wenn der Jobwechsel jedoch unfreiwillig geschieht, etwa weil man körperlich nicht mehr in der Lage ist, den erlernten Beruf auszuüben, sollte die Berufsunfähigkeitsversicherung greifen - oder?

Ab wann gelte ich als erwerbsunfähig?

Der Versicherer muss Rente bezahlen, wenn absehbar ist, dass die versicherte Person ihren zuletzt ausgeübten Beruf aufgrund körperlicher oder psychischer Leiden langfristig nicht mehr ausüben kann. Langfristig bedeutet in der Regel, dass eine voraussichtliche Erwerbsunfähigkeit für eine Dauer von mindestens sechs Monaten ärztlich prognostiziert werden muss. Erwerbsunfähigkeit bedeutet jedoch nicht, dass man überhaupt nicht mehr arbeiten kann, es gilt die 50 Prozent-Regel:
Berufsunfähig ist man, wenn man nur noch maximal 50 Prozent der zuvor geleisteten Arbeitsstunden erbringen kann.

Muss der Versicherer Berufsunfähigkeitsrente bezahlen, wenn ich einen neuen Job ausübe?

Laut eines Urteils des Bundesgerichthofs (BGH) muss der Versicherer bezahlen, wenn die aktuelle Tätigkeit gegenüber der vorangegangenen als "unterwertig" gilt. Diese Einschätzung beruht nicht nur auf der Höhe des Einkommens der beiden Tätigkeiten: Auch die für den Berufsstand erforderliche Ausbildung sowie das soziale Ansehen müssen etwa gleichwertig sein. Es ist also sogar möglich, Berufsunfähigkeitsrente zu beziehen, obwohl man besser verdient als zuvor.

Haftnotiz mit der Aufschrift "gleichwertige Tätigkeit: vergleichbare Ausbildung, vergleichbares Ansehen, vergleichbares Gehalt  (Foto: paper textures/Unsplash)
Damit eine Tätigkeit als gleichwertig gilt, muss nicht nur das Gehalt stimmen.

Kann der Versicherer Selbstständige auf eine angestellte Tätigkeit verweisen?

Hier gilt die gleiche Regel: Solange die angestellte Tätigkeit keinen sozialen Abstieg bedeutet und ein vergleichbares Einkommen bietet, kann verlangt werden, dass die versicherte Person ein Angestelltenverhältnis eingeht.

Kann der Versicherer verlangen, dass ich in meinem Beruf weiterarbeite, auch wenn ich Schmerzen erleide?

Laut einem Urteil des Oberlandesgericht in Karlsruhe berechtigen Schmerzen nicht automatisch für den Bezug von Erwerbsunfähigkeitsrente. Solange der Schmerz diffus und seine Ursache unklar ist, reicht das Verspüren von Schmerzen, auch bei medizinischer Bestätigung, nicht aus. Die versicherte Person muss ausreichende Beweise dafür liefern, dass die Schmerzen tatsächlich dafür verantwortlich sind, dass der Beruf nicht mehr ausgeübt wird und auch zukünftig nicht mehr aufgenommen werden kann.

Es ist also immer ein Nachweis notwendig, dieser kann auf mehrere Arten erbracht werden:

  • durch den ärztlichen Nachweis körperlicher Ursachen
  • durch den Nachweis psychischer oder psychosomatischer Auslöser
  • durch den Nachweis darüber, dass es sich bei den Leiden um chronische Schmerzen handelt

Kann mir der Versicherer die Leistung verweigern, wenn es auf dem Arbeitsmarkt theoretisch passende Angebote für mich gibt?

Das ist nur möglich, wenn der abgeschlossene Versicherungsvertrag die Option einer abstrakten Verweisung enthält. Viele Versicherer haben inzwischen diese Klausel ausgeschlossen. In zahlreichen Basistarifen ist die abstrakte Verweisung jedoch noch enthalten.

Info: Unterschied zwischen abstrakter und konkreter Verweisung

  • Abstrakte Verweisung: Enthält der Versicherungsvertrag diese Klausel, muss der Versicherer keine Berufsunfähigkeitsrente zahlen, wenn die versicherte Person aufgrund Ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten theoretisch in einem anderen gleichwertigen Job arbeiten könnte.
  • Konkrete Verweisung: Gegenstand der konkreten Verweisung ist die Tätigkeit, die zum aktuellen Zeitpunkt tatsächlich vom Versicherten ausgeübt wird. Der Versicherer stellt seine Leistungen dann ein, wenn die erwerbsunfähige Person eine neue, vergleichbare Tätigkeit ausübt. Auf die konkrete Verweisung verzichtet kein Versicherer bei einer Nachprüfung.

Tipp:

Abstrakte Verweisung immer ausschließen, das bietet eine höhere Sicherheit für den Ernstfall.

Was kann ich tun, wenn beim Abschluss der eigenen Berufsunfähigkeitsversicherung etwas schiefgelaufen ist?

Wenden Sie sich an Versicherungsombudsmann. Dieser dient als kostenlose und unabhängige Schlichtungsstelle für Versicherungskunden in Versicherungsangelegenheiten. Im juristischen Ernstfall wenden Sie sich am besten spezifisch an einen Fachanwalt für Versicherungsrecht.

Absicherung fürs Alter Was tun, wenn die Pflegezusatzversicherung unbezahlbar wird?

Die gesetzliche Pflegeversicherung deckt nur einen Teil der Kosten ab. Eine Zusatzpolice kann die Lücke schließen, doch die Beiträge steigen oft massiv. Ist das zulässig? Gibt es Alternativen?

Marktcheck SWR Fernsehen

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Angelika Scheffler-Ronen
Margareta Holzreiter
Sigrid Born