Warnung auf einem Straßenschild in Österreich: "Achtung!!! Hier nicht wenden. Privatgrundstück mit Besitzstörungsklage." Privatgelände mit dem Auto zu überfahren, kann hier teuer werden. (Foto: SWR)

Teure Knöllchen in Österreich

Versehentlich Privatgrundstück befahren: 345 Euro wegen "Besitzstörung"

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Jens Schreglmann
Barbara Hirl
ONLINEFASSUNG
Heidi Keller
Sola Hülsewig

Mit spezialisierten Anwälten verteilen auch Privatleute Knöllchen an Autofahrer - ein krasser Fall aus Österreich. Bei uns mahnen Anwälte oft Falschparker auf Privatgrundstücken ab.

Viele Deutsche zieht es jedes Jahr im Urlaub nach Österreich – sei es im Winter zum Skifahren oder im Sommer zum Wandern in die Berge. Andere reisen gerne an die österreichischen Seen. Auch ein Urlauber aus Baden-Württemberg verbrachte im vergangenen Jahr einige Tage in Tirol, in Kitzbühel. Das hatte ärgerliche, juristische Folgen.

Mit seinem Pkw wendet er auf einer öffentlichen Straße - in der Kirchgasse - und fährt dabei versehentlich mit seinen Hinterreifen in eine Einfahrt zu einem Grundstück. Dafür soll er eine Strafe in Höhe von 345 Euro bezahlen. Er kann es nicht fassen.

Störung des ruhigen Besitzes in Österreich

Der Urlauber hatte dabei das österreichische Sackgassenschild übersehen. Ein paar Meter weiter ist noch ein weiteres Schild an einem Grundstück angebracht, mit der Aufschrift "Hier nicht wenden". Genau das wird dem Autofahrer zum Verhängnis. Wenige Tage nach seiner Rückkehr von der Reise bekommt er zuhause einen Brief von einem Rechtsanwalt aus Niedersachsen.

Der Inhalt zusammengefasst: "Am 20.9.2022 um 11:59 Uhr" sei unbefugt das Grundstück seines Mandanten in der Kirchgasse 8 in Kitzbühel befahren worden, indem auf dem Grundstück gewendet worden sei - siehe Fotos in der Anlage. "Dies ist generell eine Störung des ruhigen Besitzes meines Mandanten", schreibt der Anwalt. Eine solche Besitzstörung sei verboten.

Der deutsche Autofahrer soll nun innerhalb weniger Tage 345 Euro überweisen – unter anderem für Überwachungs- und Rechtsanwaltskosten. Ansonsten würde er verklagt werden, und das käme noch teurer. Dem Schreiben sind Fotos einer Überwachungskamera beigefügt.

Widerspruch durch den Autofahrer aus Deutschland

Der Urlauber widerspricht. Es sei klar zu sehen, er habe nicht auf dem Grundstück gewendet, sondern auf der Straße und nur für einen kleinen Moment mit den Hinterrädern seines Autos die fremde Einfahrt touchiert.

Außerdem sei hier keine Begrenzung zum Privatgrundstück erkennbar gewesen. "Da ist kein Gehsteig, da ist gar nichts. Da ist direkt der Übergang von der Gasse auf die Einfahrt."

Eine gepflasterte Straße in Österreich. Wer auf Privatgrundstücken wendet, riskiert wegen Besitzstörung eine teure Unterlassungsklage. (Foto: SWR)
Links ist die Straße, rechts das Privatgrundstück: Über die fast unsichtbare Grenze zu fahren, kann wegen Besitzstörung teuer werden.

Besichtigung des Tatorts in Kitzbühel

Wir schauen uns den angeblichen Tatort in Kitzbühel selbst an, fahren in die Kirchgasse. Die Grundstücksgrenze - ist kaum zu erkennen. Die Pflasterung der Einfahrt unterscheidet sich kaum von der Pflasterung der Straße.

Auf das Wendeverbot wird mit einer Tafel hingewiesen - und das wird augenscheinlich genau überwacht. Doch wodurch soll in unserem Fall die Störung genau entstanden sein? Wir fragen bei Rechtsanwalt Jan Bröcker nach. Seine Antwort lautet:

"Die Pflasterung ist nicht für die ständigen und regelmäßigen Wendemanöver unbefugter Dritter ausgelegt und wird dadurch deutlich mehr beansprucht, als wenn der Hof nur von den berechtigten Fahrzeugen befahren wird. Durch die erhöhte Beanspruchung unterliegt die Pflasterung einer erhöhten Belastung, die insbesondere bei Wendemanövern noch einmal stark zunimmt."

Besitzstörung in Kitzbühel in der Lokalpresse

Die Kirchgasse und das überwachte Grundstück sind inzwischen sogar Thema in der regionalen Presse. Außer unserem Fallbeispiel wurden dort noch viele andere Autofahrer zur Kasse gebeten. Auch der Bürgermeister von Kitzbühel, Dr. Klaus Winkler, empfindet dieses Vorgehen als "extrem unanständig" und als "Abkassiererei".

Um weitere Besitzstörungen zu vermeiden, hatte die Stadt Kitzbühel sogar Poller an der Grundstücksgrenze aufgestellt. Dagegen klagte der Eigentümer - mit Erfolg. Er wollte selbst eine Schranke aufstellen, doch davon ist nichts zu sehen.

Ein Warnschild in Österreich: Kein Wendeplatz. Wer mit dem Auto auf Privatgrund wendet oder gar parkt, riskiert eine teure Unterlassungsklage. (Foto: SWR)
Besitzstörungsklagen in Österreich gegen Autofahrer nehmen zu.

Die Rechtslage für Klagen gegen Besitzstörung in Österreich

Besitzstörungsklagen sind in Österreich deutlich häufiger als in Deutschland. Vor allem Autofahrer können schnell betroffen sein. Österreichische Gerichte entscheiden in vielen Fällen zugunsten des Grundbesitzers, warnt der ÖAMTC, das österreichische Pendant zum ADAC.

Nikolaus Authried, Jurist der ÖAMTC-Rechtsberatung, erklärt, schon das Einfahren in ein Grundstück und das Wenden sei ausreichend, um eine Besitzstörung zu begründen. "Wir raten, bei sehr hohen Forderungen wie 300, 400 Euro, auf jeden Fall Verbindung aufzunehmen. Man kann oft schon noch etwas mit der Höhe tun, gerade dann, wenn es Grenzfälle sind." Allerdings müsse man mit dem Risiko rechnen, dass, wenn man die Summe nicht annehme, die Gegenseite Klage einreiche.

Besitzstörungsklagen in Österreich nehmen zu

Allerdings fällt auch beim ÖAMTC auf, dass einige Grundstücksbesitzer die Möglichkeit der Besitzstörungsklage sehr offensiv nutzen, das räumt auch der Jurist des ÖAMTC Authried ein.

Ein anderes Beispiel mit Anwaltspost ist eine bestimmte Privatstraße in Innsbruck. "Es gibt auf jeden Fall Fälle, wo wir ganz stark annehmen oder es eigentlich offensichtlich ist, dass Geschäftsmodelle dahinterstehen."

Ein Warnschild in Österreich: Privatgrund, Durchfahrt verboten. Besitzstörung kann für Autofahrer hier Unterlassungsklagen nach sich ziehen und sehr teuer werden. (Foto: SWR)
Achtung, teure Knöllchen: In Österreich muss man im Straßenverkehr sehr genau auf die Schilder achten.

Knöllchen zahlen - ja oder nein?

Der Kitzbüheler Anwalt Dr. Horst Wendling vertritt mehrere Autofahrer, die ebenfalls wegen Besitzstörung in der Kitzbüheler Kirchgasse hohe Forderungen erhalten haben. Er rät: "Wenn man sich das vor Ort anschaut, würde ich sagen: Bitte zahlen Sie nicht. Riskieren Sie das bei Gericht. Die große Wahrscheinlichkeit ist gegeben, dass man den Prozess gewinnt." Er kann sich nicht vorstellen, dass jemand tatsächlich eine Besitzstörungsklage beim Bezirksgericht Kitzbühel einreicht. "Es ist auch bisher nicht so geschehen."

Um eine Klage in Österreich zu führen, müsste der Anwalt deutscher Klienten eine Zulassung für österreichische Gerichte haben oder sich einen Partneranwalt nehmen.

Abzocke in Deutschland: Parken auf Privatgrundstücken

Auch in Deutschland stellt der ADAC fest, dass Besitzstörungsklagen zunehmen. Hier sind vor allen Dingen Falschparker auf Privatgrundstücken im Visier von Abmahnanwälten. Das liegt auch daran, dass Apps und Webseiten das Melden von Falschparkern einfach machen und dafür teilweise sogar einen Bonus versprechen.

Klaus Heimgärtner, Verbraucherjurist des ADAC, erklärt sich das vor allem daraus, dass Grundstücksbesitzer den Aufwand für Kontrollpersonal oder Abschleppwagen mithilfe dieser Firmen auslagern können. In den letzten Jahren habe sich dieses Abmahnsystem zunehmend entwickelt, "weil es einfach nur Papierkrieg ist". Mit einem Schreiben könne man "angesichts von Forderungen von 100, 200, 300 Euro den Leuten sehr viel Druck machen" - der dann dazu führe, dass die Autofahrer irgendwann einknicken und bereit seien, die Beträge zu leisten.

Ein Problem dabei sieht der ADAC-Jurist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. "Das krude an dem System ist ja tatsächlich, dass man sagt, es besteht eine konkrete Wiederholungsgefahr. Wenn Sie mit ihrem Auto - sag ich mal - von München nach Hamburg fahren und dort einmal falsch parken, wird ihnen automatisch unterstellt, sie parken dort wieder falsch. Und nur das ist ja die Grundvoraussetzung, dass überhaupt die Unterlassungserklärung von Ihnen verlangt werden kann." Das sei nicht realistisch.

Rechtlicher Beistand für Grundstücksbesitzer

Rechtsanwalt Jan Bröcker, von dem die Abmahnung an den Urlauber in Kitzbühel stammt, wirbt damit, wie man sich schnell und effektiv gegen Falschparker wehren kann. Ihm gehört die Internetseite "Parkplatzdieb.de".

Der Rechtsanwalt droht dem Autofahrer in unserem Fallbeispiel immer noch mit einem Verfahren in Österreich. Der lässt sich davon zwar nicht beeindrucken, die Lust auf Kitzbühel ist ihm allerdings vergangen. "Es ist gefährliches Pflaster, ganz einfach."

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