Die Weißenburger Straße in Niederschlettenbach

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Ein Film von Fatma Aykut

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Ortstotale von Niederschlettenbach (Foto: SWR, SWR -)

Wer nach Niederschlettenbach will, stößt an Grenzen: an geografische. Niederschlettenbach liegt im Laudertal, genau dort, wo die Südpfalz aufhört und die Westpfalz beginnt. Der ehemalige französische Grenzposten liegt noch nicht einmal zehn Kilometer entfernt. Mitten durch Niederschlettenbach führte einst der Westwall.

Nichts hat die Dorfgeschichte und die Menschen so sehr geprägt wie der Zweite Weltkrieg. Die Menschen wurden ihrer Häuser und Böden beraubt, entwurzelt, damit Hitler-Deutschland von hier aus Frankreich bezwingen konnte. Und obwohl dies auch gelang, haben die Menschen bei ihrer Rückkehr in ihr Dorf nur Zerstörung vorgefunden, zerstört von der eigenen Armee. Nach der perfiden NS-Ideologie sollte hier ein Musterdorf entstehen, erbaut nach dem Ästhetik-Empfinden der Nazis.

Doch die beließen es bei der Zerstörung. Bauen mussten es die Dorfbewohner ganz alleine, ohne Entschädigungszahlungen oder sonstige Zuwendungen. Nichts zeugt von dieser Zeit so massiv wie der Stollen in der Weißenburger Straße. Im Dritten Reich noch fanden Wehrmachtssoldaten hier Schutz vor den feindlichen Bomben. Heute ist der Stollen Heimat für Fledermäuse.

Auf Spurensuche für die Dorfchronik: der historische Grenzposten (Foto: SWR, SWR -)

Albert Nagel hat sich mit der Geschichte seines Heimatdorfes intensiv beschäftigt. Er ist kein Historiker, er ist pensionierter Polizeibeamter. Doch wenn die Bewohner sich nicht selbst mit ihrer Geschichte beschäftigen, tut dies jemand von außen ganz bestimmt nicht, so die Überzeugung. Albert Nagel erzählt von großen Träumen der Niederschlettenbacher nach der Zerstörung und dem Wiederaufbau. In der Weißenburger Straße. Zwei Schuhfabriken, eine legendäre Kneipe, zwei Lebensmittelgeschäfte, die Schule, der Dorfplatz: Die Weißenburger Straße war früher einmal die wichtigste Adresse im Dorf. Und obwohl der Begriff wirklich inflationär gebraucht wird, auf die Weißenburger Straße trifft sie zu: sie war die Lebensader des Dorfes.

Niederschlettenbacher Brunnen (Foto: SWR, SWR -)

Geblieben von alldem sind die alte Schule und der Dorfplatz. Letzteres ein Schmuckstück, 1987 eingeweiht nach jahrelanger Restaurierung. Direkt am Dorfplatz: die alte Schule. Schüler sucht man hier allerdings vergebens. Wenn überhaupt, dann nur ehemalige. 1975 drückten hier die letzten die Schulbank. Seit fast 30 Jahren wird in der alten Schule nicht Wissen, sondern Pizza und Pasta serviert. Von Elvira Garau. Das Kochen hatte sie von ihrem Ex-Mann gelernt, ein Italiener. Doch schon seit längerem schmeißt sie den Laden alleine. Die Niederschlettenbacher kannte sie schon viel früher.

Elvira Garau arbeitete früher als Pflegerin in einer mobilen Sozialstation und besuchte u.a. auch Menschen in dem 370-Einwohner-Dorf. Sie wusste, sie ist bekannt, beliebt und die Menschen vertrauen ihr. Als sie erfuhr, dass die alte Schule verpachtet werden sollte, und ihr Mann, der Italiener, von der Selbstständigkeit träumte, griff sie zu. Der Mann ist zwar weg, aber der Laden läuft immer noch. Die Niederschlettenbacher lieben die italienische Küche von Elvira. Manchmal kommen auch Gäste zum übernachten, von auswärts. Ihr Rückgrat bilden aber die Dorfbewohner. Sie feiern hier ihre Geburtstage, Silberhochzeiten, Taufen und was noch alles. Und wer einmal die Pizza der Selfmade-Frau gegessen hat, der versteht die Niederschlettenbacher.

Niederschlettenbach, Weißenburger Straße (Foto: SWR, SWR -)

Weniger Glück dagegen hatte Josefine Kochert. Die Rentnerin betrieb einst den größten Supermarkt weit und breit im Laudertal, mit ihrem Vater. Der hatte einen Traum: Eine Art Kaufwarenhaus für das Dorf. Dieser Traum wurde auch wahr in der Weißenburger Straße. Erst war es ein kleiner Laden, und dann Ende der 60er ein großer Laden. Es war die Zeit des Wirtschaftswunders.

Josefine Kochert hat bei ihrem Vater ihre Kaufmännische Ausbildung gelernt, er selbst war auch mit Leib und Seele Kaufmann der alten Schule. Aber dann tauchten wie aus dem Nichts Billig-Supermärkte auf. Josefine und ihr Vater konnten gar nicht so billig verkaufen. Also verkleinerten sie wieder das Sortiment, und auch das war wirtschaftlich kaum zu halten. Nach diversen Versuchen, zuletzt alleine, ohne die Unterstützung des Vaters, der dann starb, gab auch Josefine auf. Zuletzt betrieb sie in der Weißenburger Straße eine Bäckerei, bis Mitte der 90er. Heute lebt sie in der Weißenburger Straße, in dem ehemaligen Kaufhaus.

Geplatzte Träume und traumhafte Erfolge, die Weißenburger Straße ist voller solcher Geschichten. Wenigstens einige von ihnen erzählen sie im Hierzuland aus Niederschlettenbach.

Karte von Niederschlettenbach (Foto: SWR, SWR -)
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SWR Fernsehen