Angst vor Wettbewerbsnachteilen durch die Agrarwende

Warum Landwirte in Deutschland beunruhigt sind

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Die Landwirte in Deutschland sehen sich durch neue Gesetze benachteiligt. Tierwohlkennzeichen, Umverteilung von Subventionen, Bürokratie und Verbote beunruhigen sie sehr.

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Am 4. September 2019 haben Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner und Bundesumweltministerin Svenja Schulze ein Paket vorgestellt, das den Tier- und Insektenschutz verbessern soll. Es besteht aus drei Säulen:

Die Argrarwende umfasst diese Maßnahmen

  1. Das neue Tierwohlkennzeichen
  2. Das Direktzahlungen-Durchführungsgesetz
  3. Das Insektenschutzprogramm
  • Das Tierwohlkennzeichen wird fürs Erste ausschließlich für Schweine verabschiedet.
  • Landwirte können sich freiwillig einer von drei Stufen unterwerfen, die geringe Verbesserungen zu den gesetzlichen Mindeststandards bringen.
  • Der Verbraucher kann dann anhand der Kennzeichnung erkennen, unter welchen Bedingungen die Tiere gehalten wurden.
  • Von den hohen Biostandards ist es aber weit entfernt. Beispielsweise bekommt jedes Schwein in Stufe 1 gerade einmal 0,15 Quadratmeter mehr Platz als bisher. Das entsprechende Gesetz liegt dem Bundesrat aktuell zur Beratung vor. 
  • Die Bauern sollen weniger direkte Zahlungen für Flächen oder Ertragsmengen erhalten.
  • Dafür bekommen sie aber mehr Geld für Maßnahmen, die dem Naturschutz dienen.
Bienen schwärmen aus ihren Bienensstöcken aus (Foto: SWR)
Schafft die Agrarwende bessere Bedingungen für Bienen und Co.?
  • Das Insektenschutzgesetz sieht Verbote von Pflanzenschutzmitteln vor.
  • Es behandelt die Ausdehnung von Naturschutzflächen, in denen dann oft gar keine Pestizide oder Herbizide mehr eingesetzt werden dürfen, unter anderem ab 2023 auch das Verbot von Glyphosat. (Die EU-Zulassung läuft zu diesem Zeitpunkt ohnehin aus.)
  • Viele Landwirte in Deutschland sehen sich dadurch in ihrer Existenz bedroht. Sie müssten bereits jetzt mit wesentlich strengeren Auflagen arbeiten als ihre Kollegen im Ausland.
  • Sowohl in anderen EU-Ländern als auch im Nicht-EU-Ausland dürfen noch viele Mittel eingesetzt werden, die in Deutschland schon lange aus Gründen des Gesundheits- oder Naturschutzes verboten sind.
  • Dadurch könnten Landwirte in diesen Ländern wesentlich günstiger produzieren und verdrängten mit ihren Produkten die Erzeugnisse der heimischen Bauern.

Die neuen Gesetze schaffen Unmut bei Landwirten

Besonders die Obstbauern sind von den geplanten Verboten betroffen. Kirschessigfliege, Pflaumenwickler, Wanzen und zahlreiche andere Insekten können sich Dank des Klimawandels ausbreiten und die Früchte schädigen.

Ludwig Schmitt aus Mainz-Finthen betreibt  in der siebten Generation Landwirtschaft. (Foto: SWR)
Ludwig Schmitt aus Mainz-Finthen betreibt in der siebten Generation Landwirtschaft.

"Wenn es aber zu viele Auflagen gibt und es fast unmöglich gemacht wird, Obst und Ackerbau oder Weinbau zu betreiben, dann ist das für uns ein K.O.-Faktor, dann können unsere Kinder und Kindeskinder nicht mehr die Betriebe weiterführen."

Ein Apfelbauer erhält vom Großhandel pro Kilo Äpfel nur 20 bis 50 Cent. Im Einzelhandel oder Discounter wird die Ware dann für rund drei Euro pro Kilo verkauft. Die Folge: immer mehr Bauern geben auf und fällen ihre Obstbaumplantagen. Dabei sind gerade diese Dauerkulturen für die Artenvielfalt extrem wichtig. Denn im Gegensatz zu Getreide- oder Kartoffelfelder finden hier viele Tiere dauerhaft einen Lebensraum.

Die Agrarwende sorgt für Kontroversen bei Naturschützern

Allerdings betonen auch sie die enorme Bedeutung der deutschen Landwirtschaft für die Artenvielfalt und eine nachhaltige Lebensmittelversorgung. Sie fordern eine wirkliche Wende in der Agrarpolitik.

Sabine Yacoub ist Vorsitzende beim BUND Rheinland-Pfalz. (Foto: SWR)
Sabine Yacoub ist Vorsitzende beim BUND Rheinland-Pfalz.

Sabine Yacoub weiß, welche Form von Agrarwirtschaft in Zukunft gestärkt werden sollten:

"Eine kleinstrukturierte Landwirtschaft ist wahnsinnig artenreich. Die Bauern der letzten Jahrhunderte haben eine große Artenvielfalt geschaffen, aber durch die Industrialisierung geht uns die wieder verloren."

Bislang geht der größte Teil der Subventionen nämlich auf das Konto weniger riesiger, industrieller Betriebe. Das Gros der kleinen und mittleren Betriebe bleibt auf der Strecke. Die Naturschutzverbände fordern daher eine gezielte Förderung für diese Betriebe – insbesondere sollen Anreize dafür geschaffen werden, dass sich Naturschutz für die Bauern lohnt.

Die Politik sollte dafür sorgen, dass die deutschen Landwirte mit ausländischen Anbietern konkurrieren können. Das könne zum einen über Subventionen erfolgen, aber auch über gesetzliche Regelungen, die höhere Mindeststandards an Importware anlegten.

Die Agrarwende fordert Verbraucher zum Umdenken

Das führt unter anderem auch dazu, dass viele Importeure in Deutschland qualitativ minderwertige Ware verkaufen. Durch den Kauf von regionalem und saisonalem Obst und Gemüse – am besten direkt beim Bauern oder auf dem Markt – kann jeder nicht nur die Landwirte unterstützen, sondern tut auch aktiv etwas für den Umweltschutz.

Allein der Transport von Lebensmitteln um die halbe Welt verbraucht viele Ressourcen. Außerdem kann es sinnvoll sein, den Landtags- oder Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises immer wieder darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig die Unterstützung der regionalen Bauern und des Naturschutzes ist.

Dass die Politik auf Bürgerproteste reagiert, hat aktuell die "Fridays for Future"-Bewegung gezeigt.

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SWR Fernsehen